Lieber gum,
das ist ein ganz raffiniertes Gedicht in der Art, wie es dem Leser die Deutung des hier Vorgebrachten überlässt. Auf der Linie von eKy kann man hier eine ungute (der Titel ist ein brauchbarer Fingerzeit in diese Richtung) Beziehung herauslesen, die zu einer toxischen Abhängigkeit des LI gegenüber dem Adressaten geführt hat.
Im Textverlauf bleibt aber vieles sehr vieldeutig. Die ersten Zeilen klingen fast eher wie die Rede eines Elternteils gegenüber dem undankbaren Nachwuchs, dann wechselt die Strophe 1 aber den Ton und kulminiert im Wörtchen "verbunden", was man als sexuelle Verbindung lesen könnte, wobei das "eingeschwärzt in deine Nacht" der letzten Zeile dieser Strophe offen für viele Ausdeutungen ist. Soweit so verständlich als Beschreibung einer Abhängigkeitskonstellation.
Was mich an der Eindeutigkeit dieser Lesart etwas zweifeln lässt, ist aber Strophe 2, denn hier wird mit der Metapher, dass das LI in der trüben Flut (reimt sich auch gut auf Blut) des Angesprochenen treibt, eine physische Verschmelzung von LI und LD ins Bild gesetzt, die noch über eine schräge Beziehung weit hinaus geht. Ein seltsam auf den Kopf gestelltes Bild von einem Süchtigen und der in seinem Blut zirkulierenden Droge (hier eben mit vertauschten Rollen!) deutet sich an. Und dann hebt sich der Gedanke der Verse ins Metaphysische... der kreisende Todesreigen, die lichten Seelen... wir sind irgendwo zwischen Danteschem Paradies und Inferno (also im Fegefeuer?).
Ein Gedanke, der mir zu alledem kam: Könnte das LI hier womöglich die Seele sein, die zum Gefängnis (und womöglich auch Verdammnisort) ihres sterbenden Körpers redet? Solche inneren Monologe von Seele und Körper kennen wir aus der Lyrik durchaus - die bekanntesten Beispiele stammen wohl aus der Feder Gernhardts (google-findbar und sehr lesenswert!), nämlich die Gedichte "Noch einmal: Mein Körper", der humoristische Klassiker zu diesem Sujet, und das schon deutlich düsterere "Siebenmal: Mein Körper". Deine Variante, so gelesen, wäre noch einmal deutlich grimmiger.
Auf alle Fälle: Sehr gerne gelesen!
S.