Autor Thema: Hermetisch  (Gelesen 708 mal)

Erich Kykal

Hermetisch
« am: August 28, 2019, 11:56:17 »
Die Liebe ist ein Immer Rücksicht Nehmen,
ein so empfindliches Einander Achten,
ein Ewig Aus Des Andern Sicht Betrachten,
es scheut die Gipfelstürme des Extremen.

Doch habe ich mich stets daheim gefunden
im puren, rein erotischen Gebrauchen,
im sinnlich nackten Ineinandertauchen,
von keinen Achtsamkeiten eingebunden.

Der Rausch, den nur die Sinne uns diktieren,
er reißt mich fort für selige Minuten,
und muss ich hinterher auch dafür bluten -
ich kann nicht anders als nur so mich spüren.

Verachte, wenn du magst, den Trieb des Tieres,
dressiere ihn zu menschlichem Ermessen,
und willst du diesen Urinstinkt vergessen,
verdränge dein Zutiefstes und verlier es.

Ich kann das nicht, vermag nur wahr zu lieben,
was ich nicht haben will und nicht begehre,
denn einzig in der liebelosen Leere
der Lust ist mir Erfüllung je geblieben.
« Letzte Änderung: Oktober 04, 2021, 09:51:59 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Hermetisch
« Antwort #1 am: August 29, 2019, 10:52:04 »
Hi eKy!
Der Titel ließ mich alles mögliche erwarten, aber jedenfalls etwas anderes, als dann folgte. Eine unterlaufene Erwartungshaltung muss nicht schlecht sein, aber irgendwie wäre mir persönlich ein etwas weniger "kommentierender" Titel lieber.
Das Gedicht selbst ist ein formal wunderbar abgerundetes Werk in feinbalanciertem Sprachfluss als klassischer fünfhebiger Jambus gestaltet mit durchgängig weiblichen Kadenzen. Stilistisch auffallend sind die substantivierten Zusammensetzungen (Immer Rücksicht Nehmen usw.) in den ersten drei Zeilen der ersten Strophe. Das ist ein kleiner, initialer Stolperstein für das Leseverständnis, kitzelt meine Aufmerksamkeit aber eher, als dass es sie vor eine Hürde stellte, also keine Kritik daran!
Die Orthographie dieser Substantivierungen empfinde ich allerdings als etwas gewöhnungsbedürftig, ich denke üblicherweise müsste man hier mit Bindestrichen arbeiten, was jedoch ein unschönes Schriftbild erzeugte. Das wäre mal ausnahmsweise ein Argument für eine durchgängige Kleinschreibung des Gedichts - aber ich denke nicht, dass Du in einem poetologischen Boot mit Peter Paul Zahl und Jan Wagner (was für ein herrliches Duett!) sitzen möchtest, also warum nicht eine eigene, kykalsche Orthographie. :)
Im Gegensatz zu dieser kleinen Anfangshürde der komplexen Komposita sind die Gedanken insgesamt sehr konzis geführt und die Sätze überwiegend parataktisch (durch Beiordnung von Hauptsätzen) gestaltet, was das Gedicht insgesamt äußerst lesefreundlich macht.
Dem steht für einen Feldwaldwiesenleser (no offence!) der Inhalt entgegen, der definitiv gegen den Strich des Common Sense (zumal in Sachen Liebeslyrik) gebügelt ist: Hier wird einer in amourösen Dingen mehrheitlich wohl als problematisch bewerteten, gänzlich unromantischen Körper-bezogenen Haltung das Wort geredet.
Nunja... möchte nicht wissen, wie viele Mitmenschen da wohl nach außen den Kopf drüber schütteln ("degoutant, degoutant!"), aber privatim genau so etwas praktizieren - scheinheilige Bande!
Richtig schön und hervorhebenswert ist das lustige Reimpaar "Tieres - verlier es", das dem Text einiges an seiner Wucht nimmt, mehr Spielbein einbringt. Gefällt mir sehr! Als nicht so überzeugend empfinde ich die Wendung vom "rein erotischen Gebrauchen", da wird für mich eine Sachbuch-artige Sprachsphäre "rein erotisch" mit einem etwas geraunten Lyrizismus ("Gebrauchen") etwas unharmonisch zusammengebunden... ein Erdnüsschen...
Anregend wiederum ist die doppelte Dialektik der letzten Strophe ("lieben... in der lieblosen Leere" wie auch "Erfüllung... in der Leere"). :)
Also sehr gerne gelesen!
S.

Erich Kykal

Re: Hermetisch
« Antwort #2 am: August 29, 2019, 12:23:59 »
HI Suf!

Ich muss gestehen, dass das Werk rein autobiografisch ist. Das bin ich, der sich da beschreibt. Leider war es in meiner Kindheit so, dass mir Sex als etwas Unreines, Schmutziges vermittelt wurde. Meine Eltern konnten nichts dafür, einerseits waren sie in ihren recht konservativ geprägten Moralvorstellungen und schlichten Fakenews (zb. in Sachen Onanie) von anno Tobak gefangen (sie waren schon um die 50, als sie mich bekamen, wuchsen also noch mit den "Werten" der Jahrhundertwende auf), zum anderen kam ich per Kaiserschnitt zu Welt, und meine Mutter wurde gleich danach "ausgeräumt", Eierstöcke und Gebärmutter wurden entfernt. Das machte man damals so bei älteren Müttern, um Krebsbildung vorzubeugen.
Leider verlor sie dadurch alle "Lust", und wies meinen Vater jahrelang nachts angeekelt zurück, was ich als kleiner Junge natürlich mitbekam und meine eigenen "logischen" Schlüsse daraus zog: Der Mann ist unbeherrscht und lüstern und drängt sich der Frau auf, die das nicht will und es widerlich findet. So wuchs ich mit der in mir geronnenen Gewissheit auf, dass Männer schmutzig und geil sind, Frauen rein und unschuldig, und dass es echte Liebe zwischen ihnen nur ohne beschmutzenden, ekelhaften Sex geben kann.
Tja, das sind so die tief verwurzelten Traumata, über die man nie so recht hinwegkommt. Frühkindliche Prägung ...


Was die Orthographie anbelangt: Früher schrieb man lange Würste bei zusammengesetzten Nomen, zB. "er zelebrierte sein Ausderhautfahren".

Heute sind Bindestriche üblich: "Er zelebrierte sein Aus-der-Haut-Fahren"

Wie du richtig erwähntest, leidet das Schriftbild darunter, also dachte ich mir, man könnte solch ein Konglomerat auch durch konsequente Großschreibung definieren:
"Er zelebrierte sein Aus Der Haut Fahren".

Funktioniert jedenfalls, zumindest bei Lesern mit ausreichend akzelerierter Sprachhabung, zu welchen ich dich nur mit tiefer Verbeugung zählen kann. Ich vermute sogar, dass man es nach neuer RS sogar so machen kann, aber sicher bin ich mir da nicht.

Um die "Kopfschüttler" habe ich mich mein Lebtag nicht geschert. Wenn mir einer blöd kommt, ignoriere ich die Provokationen dank meiner intellektuellen Hybris, und wenn er's partout wissen will, zieh ich meine alte Rockerkutte an und zeig es ihm!  ;D ;) >:D

LG, eKy
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Sufnus

Re: Hermetisch
« Antwort #3 am: August 30, 2019, 15:10:40 »
Hi eKy!
Interessant, dass Du hier mal auf die Identität (sic) von LI und Autor hinweist.
Eigentlich reicht ja, ganz im Gegensatz zu Deinem Statement, der ewige Kehrreim der Verschiedenheit von LI und Autor schon soweit zurück, wie es Ich-Lyrik gibt, also mindestens bis in die Antike.
Und doch hält sich ja durchauss hartnäckig der biographische Angang bei der Interpretation lyrischer Werke, vor allem solchen von eher hermetischer Natur, die Deiner Lyrik im allgemeinen und diesem Werk im Besonderen ja trotz des Titels gerade nicht zu eigen ist. :)
Wenn also das Schürfen in der Biographie also ein so (alt-)bewährtes philologisches und textkritisches Instrument ist, könnte doch etwas dran sein.
Dennoch möchte ich an dieser Stelle ein halbes "hier irrt Kykal!" einwerfen. Denn magst Du Dich selbst auch als ganz im Einklang mit dem LI dieses Werkes empfinden, so kann doch ein Gedicht oder ein ganzer Lyrikband oder ein poetisches Gesamtwerk nie in Deckung zum Autor gebracht werden. Zumindest, solange es noch Leser hat, wird das Werk immer kleiner und größer zugleich sein als sein Schöpfer.
Die besondere Sprache der Lyrik, diese hochartifizielle Abweichung vom normalen Sprechen (und Denken!) setzt schon beim Verfassen dem Autor gewisse Grenzen und zwingt ihn in Aussagen, über die er, den strengen Vorgaben seines Handwerks verpflichtet, nicht völlig frei verfügen kann: Das Wiesel sitzt eben um des Reimes willen im Bachgeriesel und nicht (nur), weil Christian Morgenstern das so wollte. Um wie viel mehr büßt der Autor dann aber erst beim Gelesenwerden an Autonomie ein! Sein LI, seine Wörter und Gedanken verselbständigen sich in den Köpfen der Leser und entwickeln ein unheimliches Eigenleben. Und also ist ein gelesenes Gedicht immer weitaus mehr Projektionsfläche des Lesers als Seelenspiegel des Autors. :) Vielleicht lernen wir aus der Lektüre etwas über den Verfasser, aber weitaus mehr können wir daraus über uns selbst erfahren.
Lg,
S.

Erich Kykal

Re: Hermetisch
« Antwort #4 am: August 30, 2019, 16:32:39 »
Hi Suf!

Na dann ...   ;)

Scherz beiseite, hab Dank für diesen Blickwinkel und die ihm zu verdankende Einsicht. Dies macht die Aussage der obigen Verse an sich für mich aber um nichts weniger wahr und relativiert auch nicht mein Wissen darum.  :-\

LG, eKy
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