Autor Thema: Der Stich  (Gelesen 859 mal)

gummibaum

Der Stich
« am: Juli 20, 2019, 15:47:32 »
Ein Messerstich durchbohrte mich,
das ganze Hemd war rot,
doch schmerzte es nicht sonderlich
und führte nicht zum Tod.

Da wusste ich, ich träumte nur
und schlug die Augen auf,
doch als die Hand zur Rippe fuhr,
war dort der Messerknauf.

Ich zog die Klinge aus dem Herz
und wurde davon wach.
Nun fühlte ich auch einen Schmerz. -
Wo bist du, Liebste? Ach!

Erich Kykal

Re: Der Stich
« Antwort #1 am: Juli 20, 2019, 18:24:18 »
Hi Gum!

Sehr gut, der Traum im Traum! Nur die vorletzte Zeile der letzten Str. erscheint mir unglücklich formuliert, denn "ich" war er ja immer, auch in den Träumen.

Inhaltlich passender wäre zB: "ich fühlte immer noch den Schmerz", oder "doch fühlte weiter ich den Schmerz" oder so ...

Sehr gern gelesen! Im Traum? - Oder doch nicht ...?  :-\

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Der Stich
« Antwort #2 am: Juli 21, 2019, 12:44:15 »
Danke, lieber Erich.

Der Traum hat den Schmerz als Bild gestaltet.
"Schmerzte es nicht sonderlich" bedeutet "schmerzte sonderbarerweise nicht." Nach dem Aufwachen wandelt sich das Bild zum Schmerzgefühl.

Ich hoffe, du kannst das so nachvollziehen.

LG g

 

Sufnus

Re: Der Stich
« Antwort #3 am: Juli 22, 2019, 16:45:33 »
Lieber gum!
Ganz großartige Zeilen - mir gefällt dieses unscharfe Wechselspiel von Traum und Wirklichkeit richtig gut!
Wunderbar finde ich auch die Spannung von dramatischem Geschehen (auch auf der Ebene des Seelenschmerzes) und trockenem Parlandostil.
Was eKy angesprochen hat, der minimale Widerspruch von einem "nicht sonderlich" Schmerzen in S1 und neu aufgetretenen (vorher nicht vorhandenen) Schmerzen in S3, ist mir erstmal gar nicht aufgefallen. Ich bin auch nicht sicher, ob es zwingend korrigiert werden muss - leichte Brüche in der inhaltlichen Kohärenz sind ja durchaus ein Merkmal gesprochener Rede und können hier als Stilmittel aufgefasst werden.
eKys Korrekturvorschlag finde ich persönlich auch nicht ganz so schön, weil dabei der Kontrast von (fast) keinen Schmerzen in S1 und heftigen Schmerzen in S3 abgeschwächt würde.

Falls unbedingt eine logische "Bündigkeit" angestrebt werden soll, hätte ich die folgenden beiden Varianten:

Variante 1 (= S1 verändert und S3 bleibt unverändert):

Ein Messerstich durchbohrte mich,
das ganze Hemd war rot,
doch tat's nicht weh (verwunderlich!)
und führte nicht zum Tod.

Andere Möglichkeit (= S1 bleibt unverändert und S3 verändert):

Ich zog die Klinge aus dem Herz
und wurde davon wach.
Nun fühlt' auch ich erst tiefen Schmerz. -
Wo bist du, Liebste? Ach!

Auf alle Fälle ein besonders gern gelesen habendes Nachtstück! :)

Grüße!

S.



Agneta

  • Gast
Re: Der Stich
« Antwort #4 am: Juli 23, 2019, 09:31:18 »
sehr schön bebildert, lieber Gum, dass es einen Stich verspüren lässt, wenn die Liebste nicht da ist.
lG von Agneta

gummibaum

Re: Der Stich
« Antwort #5 am: Juli 23, 2019, 22:45:33 »
Lieber Sufnus,
ganz lieben Dank für deine Zeilen und Überlegungen. 

Liebe Agneta,
auch dir besten Dank.

Es grüßt euch herzlich
gummibaum