Autor Thema: Rauminneres (Der Eremit)  (Gelesen 1634 mal)

Erich Kykal

Rauminneres (Der Eremit)
« am: August 09, 2018, 15:53:36 »
Im Raum des Hauses schwebt ein stilles Ahnen
von Zukunft durch den lieben langen Tag,
als wollte es, was immer werden mag,
nach Großem wenden und in neue Bahnen.

Gardinen wölben sich wie bunte Fahnen
dem Auge zu, das eben darauf lag,
doch weiter wandert: Stummer Zeuge, sag,
was nötigt dich zu schweigen statt zu mahnen?

Wer ist es, der das Mögliche verhindert
in diesem Inneren, das innen bleibt?
Ein Leidender, der sich bewusst vermindert?

Ein Zweifelnder, von nichts zu überzeugen,
verweigernd sich und nimmermehr zu beugen?
Ein Schatten nur, der durch die Jahre treibt?
« Letzte Änderung: August 10, 2018, 12:06:58 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Lieber Erich -
« Antwort #1 am: August 10, 2018, 09:35:16 »
nach Großem wenden und in neue Bahnen.

Hier vermisse ich ein "sich"; ich kann auch falsch gelesen haben.
Ich revidiere sofort, lasse aber meinen Fehler stehen, damit ich eventuell andre Leser nicht verwirre.
Ein wunderschönes Gedicht, das mich mitnimmt, da ich selbst "eingesperrt" bin, ähnlich dem Gedichts-LI.

Hab Dank, lieber Erich

von
Cypi
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re: Rauminneres
« Antwort #2 am: August 10, 2018, 12:06:24 »
Hi Cypi!

Vielen Dank für deine Zeilen!  :)

Ein "sich" gehört dort nicht hin - das "Ahnen" in Z1 schwebt durch die Räume, als WOLLTE es (Z3), was immer werden mag, nach Goßem und in neue Bahnen wenden.

Der Satz will bedeuten, dass zwar unzählige Möglichkeiten, Großes zu vollbringen, sozusagen in der Luft hängen, dass das Bewohner dieser Räume - ich dachte an einen Einsiedler wie mich - allerdings keine davon nutzt.
Er, der stumme Zeuge eigenen Verhinderns, wird vom LyrIch (einem anderen Aspekt eines eigenen Wesens) gefragt, wer es wohl sein mag, der da lebt: Welche Gründe wohl hinter dieser freiwilligen Isolation stehen.

An deine Malaise habe ich dabei ehrlich nicht gedacht! Derlei würde ich mir nie erlauben!  :o

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Rauminneres (Der Eremit)
« Antwort #3 am: August 10, 2018, 12:09:41 »
Wieder einmal wunderbar melodiös geschrieben, eKy! Diese sanglichen Jamben erinnern mich in ihrer natürlichen Musikalität an Gedichte von Theodor Kramer, an Umfang des Werkes und Leichtigkeit des Sprachflusses gemessen vielleicht die größte Sangesstimme der (neueren) deutschsprachigen Poesie und noch dazu ein Lyriker mit einem so weiten Herz (viel authentischer als der "engagierte" Brecht) für die Zukurzgekommenen und an den Rand Gedrängten... im Bereich des klanglichen Wohllautes und der rhythmischen Differenziertheit bin ich natürlich auch in der Rainermaria-Fangruppe :) ... aber ich schweife schon wieder ab... die (Rest-)Hitze...

---------------

Zwei Minikorinthenfragmentierungen:

Den Titel find ich persönlich noch nicht ganz perfekt... das Bild des Raumes... einmal konkret und einmal metaphorisch als "Innenraum" verstanden, ist sehr ansprechend :), aber "Rauminneres" klingt für mich ein bisschen physikalisch-kosmologisch und ein bisschen nach einer öden Mathestunde ("berechne den Rauminhalt eines Stumpfen Kegels mit usw..." *grusel*).

=> Edit: Jetzt hast Du eh schon eine Titelergänzung vorgenommen... damit ist meine Anmerkung größtenteils bereits gegenstandslos geworden. :)

Und der Einstieg mit dem Genitiv "Im Raum des Hauses" erscheint mir vielleicht ein bisschen schwerfällig.
Vorschläge: "Im Haus, in stillen Räumen, schwebt ein Ahnen" oder "Noch schwebt im Haus, im stillen Raum, ein Ahnen"
« Letzte Änderung: August 10, 2018, 12:11:50 von Sufnus »

Erich Kykal

Re: Rauminneres (Der Eremit)
« Antwort #4 am: August 10, 2018, 12:45:38 »
Hi Suf!

Den von dir genannten Herrn Kramer kenne ich gar nicht - da muss ich mal sehen, ob ich im Netz was finde. Danke für den Tipp!  :)

Bezüglich der ersten Zeile: Schwerfällig? Inwiefern? Das Genitivs wegen? Mag sein, ich glaube allerdings weniger, dass ein Einschub mit Kommata, wie deine Beispiele implizieren sollen, da sprachlich gelenkiger wäre ...  ;)

LG, eKy
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Sufnus

Re: Rauminneres (Der Eremit)
« Antwort #5 am: August 10, 2018, 13:17:26 »
Wenn man das Geld erübrigen kann, würde ich Theodor Kramer - Gesammelte Werke Band 1 vom Zsolnay-Verlag (mit einem Vorwort von Bruno Kreisky) empfehlen. Kostet allerdings 40 Euro und scheint dabei zu sein, vergriffen sein zu werden... eine Schande!

Theodor Kramer hat wohl mehrere zehntausend Gedichte geschrieben, wie viele durch die Emmigration während der Nazizeit verloren gegangen sind, lässt sich nicht abschätzen, aber die Zahl seiner Verse sprengt jeden Versuch einer kompletten Sichtung. Die "Gesammelten Werke" im Zsolnay-Verlag umfassen, glaube ich, drei dickvolumige Wälzer, ohne dass ein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden kann. Soweit ich weiß, enthält der erste Band die publizierten Gedichte und darf damit als recht repräsentativ für sein Werk gelten.

Durchgängig gereimt, zeichnen sich diese Gedichte durch ihre wortwörtliche Singbarkeit aus (oft meint man geradezu, Melodien zu vernehmen). Und auch wenn bei einem solchen Riesenwerk der ein oder andere Schnellschuss dabei sein mag, der nicht ganz das Niveau hält, stammen aus seiner Feder einige der schönsten Gedichte in deutscher Sprache überhaupt.

Um einen Eindruck zu gewinnen: Per Google findet man z. B. sein Gedicht "Es ist schön" und sein "Requiem für einen Faschisten" (bezieht sich auf Josef Weinheber).

cyparis

Re: Rauminneres (Der Eremit)
« Antwort #6 am: August 13, 2018, 11:00:06 »
Lieber Erich,

Du hast gedankliche Mauern eingerissen bei mir - hab Dank, hab Dank!

Auch Dank an Sufnus für den kundigen Kommentar!

Immer:
Cypi
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re: Rauminneres (Der Eremit)
« Antwort #7 am: August 13, 2018, 18:22:15 »
Hi Suf!

Hab ein paar Sachen von Kramer gelesen - vielleicht die falschen, denn ich bin relativ unbegeistert geblieben. Na, vielleicht finde ich noch was anderes ...


Hi Cypi!

Du scheinst erneut auf dich zu beziehen, was auf mich gemünzt war - naja, wenn's hilft ...  ;) :)


LG, eKy
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