Autor Thema: Ein Spiel  (Gelesen 1101 mal)

Sufnus

Ein Spiel
« am: Juli 23, 2021, 14:00:53 »
Ein Spiel

Mein Spielball ist vom Herzen mir
ins Toraus oft gehupft.
Geschwinde wurd er für und für
zurück ins Feld gestupft.

Dort rollt vom Fuß er steil und quer,
Fortunas Dribbelwut,
"Rahn müsste ...", doch das Bein ist schwer,
wie auch die Menge buht.




Erich Kykal

Re: Ein Spiel
« Antwort #1 am: Juli 23, 2021, 18:35:34 »
Hi Suf!

Das Leben als Spiel, die Welt als Spielfeld ...

Das Werk hat etwas Ambivalentes. Eine weise, abgeklärte Seele, die das Sein durchschaut hat und kein Publikum mehr braucht, um sich vor sich oder anderen zu bestätigen, aber nun doch fühlt, dass ihr die Zügel des Lebens zu entgleiten beginnen, müde geworden an den übervollen Jahren.
Klingt S1 noch sprachlich fast verspielt und leichtherzig (siehe zB. den Reim "gehupft/gestupft"), so tieft S2 wie zum Gegensatz das Bild in philosophische Weltsicht und Akzeptanz.

Amüsant das Anklingenlassen des berühmten Kommentatorenrufs zum entscheidenden Treffer zum ersten Fußballweltmeistertitel für Deutschland: "Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen - er schießt! Und ... Tor! Toooor! Tooooooor!" als sozusagen Quintessenz von Truimph und Glücksgefühl der puren Lebensfreude - oder der konzentrierten Ambition, das Schicksal zu gestalten, wenn nicht gar zu zwingen!

Sehr gern gelesen!  :)

LG, eKy
« Letzte Änderung: Juli 23, 2021, 18:39:38 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Rocco

Re: Ein Spiel
« Antwort #2 am: Juli 23, 2021, 23:01:17 »
Hallo Sufnus,

ich glaube, das Gedicht beschreibt die Situation eines Fans, der von seinem Platz zuschaut, wie andere spielen. Sonst hieße es nicht "wurde er", sondern, " habe ich ihn".

Hat Rahn für Düsseldorf gespielt? Ich bin gerade überfragt. Es könnte die Glücksgöttin, wie auch der Verein gemeint sein.

Mit dem Spiel kann gemeint sein: zuschauen, dribbeln und auch die Enttäuschung über das Spiel.

Man sollte nichts zu ernst nehmen.

Einen schönen Abend

Rocco



"Erst in Rage werde ich grob -
aber gelte als der Hitzkopf?!"

Yusuf Ben Goldstein, aus Rocco Mondrians Komödie: Yusuf Ben Goldstein, ein aufrechter Deutscher

Agneta

  • Gast
Re: Ein Spiel
« Antwort #3 am: Juli 28, 2021, 18:26:34 »
der Spielball des Herzens, lieber Sufnus, hat seine eigenen Regeln und schert sich nicht um die Menge. Schön metaphorisiert. LG von Agneta

gummibaum

Re: Ein Spiel
« Antwort #4 am: Juli 31, 2021, 13:48:46 »
Ein verschmitztes, sprechendes Bild über verschenkte Chancen, lieber Sufnus!

(Rahn hätte das Tor gemacht, war aber leider nicht zur Stelle, das Schicksal von seiner Dribbelwut abzubringen.)

Sehr gern gelesen.

Grüße von gummibaum

Sufnus

Re: Ein Spiel
« Antwort #5 am: August 03, 2021, 15:14:37 »
Hallo Ihr Lieben! :)

Vielen Dank für das vierstimmige Echo! :) Damit ist das Feedback schon weitaus wortstärker als meine kurzen Zeilen. :) Interessant finde ich, dass gum, Agneta und eKy die Zeilen metaphorisch auffassen und Rocco ganz "unbildhaft" bei den geschilderten Fakten zu bleiben versucht.

Ich bin nun - oft habe ich darauf hingewiesen - ein starker Anhänger von einer großzügig ausgelegten Lese-Automie. Wäre ich ein Deutschlehrer würde ich daher, z.B. beim Thema Lyrik, den Schülern eine große Freiheit belassen, wie ein Gedicht aufzufassen ist. Aber eine Grenze würde ich da ziehen, wo eine Lesehaltung in sich unschlüssig oder in Bezug auf das Gedicht völlig unnachvollziehbar ist.

Ich könnte mir zum Beispiel eine Fülle von völlig unterschiedlichen Angängen zur Erlkönig-Ballade vorstellen: "Hier geht es um das Thema Kindsmissbrauch" oder "Hier wird der Zwiespalt von Kulturmenschen und Vor-zivilisatorischen Lebensweisen geschildert" oder "Hier geht es um die pathophysiologischen Folgen einer Fieber-Reaktion im Rahmen einer systemisch entzündlichen Erkrankung des Kindes" oder "Hier wird die Unfähigkeit von Erwachsenen geschildert, sich in das kindliche Erleben einzufühlen" oder "In dem Gedicht macht sich der Autor über eine unkritische Haltung zur Natur lustig". Das fänd ich alles völlig ok und begründbar. :) Gemischte Bewertungen ergäbe es für: "Goethe parodiert hier den romantischen Gestus der Lyrik von Robert Burns", weil dies zwar hochoriginell aber zeitlich schwer haltbar wäre. Und bad vibrations gäb es für: "Hier kritisiert der Autor die zunehmende Nutzung des Individualverkehrs in Innenstädten". ;)

Dies als Veranschaulichung meiner Haltung zur "Freiheit der Interpratation". Und auf dieser Basis würde ich Roccos Ansatz vorsichtig kritisieren, weil er Teile des Gedichts willkürlich ausblendet, eine unlogische Begründung für den Interpretationsansaz liefert und in seiner Deutung letztlich etwas inkonsistent ist.
1) Stichwort "Ausblenden": Aus der Sichtweise als Schilderung eines konkreten Fußballspiels geht nicht hervor, warum in Z1 vom Herz die Rede ist und warum das Gedicht unter "Liebe und Romantik" einsortiert wurde.
2) Stichwort "unlogisch": Roccos Begründung ist, dass es vom Ball heißt, dass "er" (der Ball) zurückgespielt wurde und nicht, dass "ich" (das Lyrische Ich) ihn zurückgespielt hat. Aber warum sollte ein Spieler, der den Ball ins Toraus geschossen hat, diesen wieder eigenfüßig ins Feld zurückspielen? Entweder der Spieler hat den Ball ins gegnerische Toraus gespielt, dann kümmert sich ein Spieler der anderen Mannschaft darum, das Spielgerät wieder zurück aufs Feld zu schicken oder das Lyrische Ich hat den Ball ins eigene Toraus befördert, dann wäre wiederum die Gegenmannschaft dafür zuständig, den Ball per Ecke ins Feld zurückzuschießen. Gerade eine Ich-Perspektive würde also formulierungstechnisch keinen Sinn ergeben.
3) Stichwort "Inkonsistenz": Wenn hier eine Außenperspektive auf das Spielfeld von der Zuschauertribüne aus geschildert würde, warum ist dann das Lyrische Ich in Z1 in Ballbesitz? Der Ball müsste demnach zuvor aus dem Spielfeld in die Zuschauerränge geschossen worden sein. Das ist zwar denkbar, aber wie kommt er dann von der Tribüne ins Toraus und warum heißt es anschließend "zurück ins Feld"? Letztere Formulierung bedingt, dass der Ball aus dem Spielfeld ins Toraus gespielt wurde und anschließend eben wieder von dort zurück ins Spielfeld. Und schließlich und am Wichtigsten: Wenn hier eine Außenperspektive eingenommen wird, warum heißt es dann "das Bein ist schwer" und nicht "die Beine sind schwer"? Offenbar ist hier nur von einem Spieler mit schwerem Bein die Rede und entsprechend Ockham's Razor ist die ökonomischste Erklärung dafür, dass dieser Spieler mit dem Lyrischen Ich identisch ist.
Summasummarum würde ich bei aller Sympathie für autonome Lesarten Roccos Deutung nicht für stichhaltig erachten.

Der Sinn meiner langen Ausführungen ist dabei natürlich nicht, Roccos spezielle Deutung zu bashen sondern ganz allgemein einmal darzulegen, wie ich Interpretationsfreiheit (und ihre Grenzen) verstehen wollen würde. :)

LG!

S.

P.S.:
Ein distinktes Dankeschön aber noch an Rocco für den Hinweis auf die doppelte Lesart von Fortuna. Es könnte hier in der Tat ein Verein gemeint sein oder die Glücksgöttin. Rahn hätte dabei durchaus im Hinblick auf seine NRW-Verortung für Düsseldorf spielen können, ist aber (sozusagen ganz im Gegenteil) stattdessen mal kurzzeitig für den 1. FC Köln (leider nicht: Fortuna Köln, das hätte natürlich auch schön gepasst) aufgelaufen. Ansonsten war er vereinstechnisch eher ein Kind des Ruhrpotts als des Rheinlandes. :)
« Letzte Änderung: August 03, 2021, 16:02:36 von Sufnus »