Autor Thema: Der Zeiger  (Gelesen 2231 mal)

Erich Kykal

Der Zeiger
« am: Januar 08, 2010, 11:17:15 »
Ich schau ihm zu, wie er ins ewig Runde tastet,
in diesen auswegleeren, endlos gleichen Kreis;
wie er von einem Strich zum immer nächsten hastet,
und doch, wovon er mir bezeugen soll, nichts weiß...

Ist es mein Schicksal, denk ich, gleich dem starren Pfeile,
der sich nur dreht und weisen muss, was er nie spürt,
nicht irgend Ziel im Sein zu haben und nicht Eile,
darin zu suchen, was mein Aufziehherz berührt...

Nur manchen Tag beschleicht mich leise das Verlangen,
zu wissen, wer vielleicht mein Kreisen schaut und deutet,
und was die Lebensuhr, in die er mich gehangen,
beim letzten Ablauf ihres Federwerks ihm läutet ...
« Letzte Änderung: Mai 02, 2021, 23:50:27 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Der Zeiger
« Antwort #1 am: Januar 08, 2010, 15:55:39 »
Lieber Erich Kykal,


hier darf ich Dich bedenkenlos loben, ohne von irgend jemandem in die Schranken gewiesen zu werden.

Dies ist nicht das erste Mal, daß Uhr und Uhrzeiger als Metapher für ein Leben als Vorlage dienen.
Bietet sich auch sehr an - Uhrzeit:Lebenszeit.
Aber daß dies auf so unnachahmlich schöne und gekonnte Art präsentiert wird:
Das ist in meinen Augen einmalig.
Vor allem die letzte Strophe hat sehr tiefen Eindruck auf mich gemacht.
Über die Schönheit, Feinheit, Tiefe und Eleganz Deiner Sprache brauche ich kein Wort zu verlieten.

Ein Kleinod,
mit dem Du mich beschenkt hast.

Lieben Gruß
von
cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re: Der Zeiger
« Antwort #2 am: Mai 02, 2021, 23:55:25 »
Ach, lang, lang ist's her!

Nun habe ich auch in diesem ganz alten Werk die metrischen Schnitzerlein beseitigt (drei Zeilen hatten nur 5 statt der sonstigen 6 Heber), die mir damals einfach nicht auffielen, da ich noch keine Ahnung von gar nichts hatte, was Lyrik betrifft. Als ich es hier einstellte, war ich noch recht neu hier im Forum und begann viele Threads, vielleicht habe ich deshalb der guten Anne nie auf ihren Kommi geantwortet: Der Faden ging verschütt, der Kommi blieb unbemerkt. Bedauerlich.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Der Zeiger
« Antwort #3 am: Mai 03, 2021, 14:42:20 »
Schön, lieber Erich,

dass du den Dialog mit cyparis nicht abreißen lässt und auf diese Weise deine schönen älteren Gedichte, wie dieses tiefsinnige, nochmals (leicht modifiziert) auftauchen.

Ich hätte früher an den Sekundenzeiger gedacht, aber jetzt, da meine Zeit immer schneller abläuft, kommt schon der Stundenzeiger für die hastige Bewegung in Betracht.

Sehr gern gelesen.

Liebe von gummibaum   
« Letzte Änderung: Mai 10, 2021, 17:17:27 von gummibaum »

Agneta

  • Gast
Re: Der Zeiger
« Antwort #4 am: Mai 03, 2021, 19:48:45 »
ja, die Lebensuhr, Erich, läuft für uns alle ab und man fragt sich nach dem Sinn, der hinter diesem Leben stand. Schwieriges Thema. LG von Agneta

Erich Kykal

Re: Der Zeiger
« Antwort #5 am: Mai 03, 2021, 20:02:00 »
Hi Gum, Agneta!

Als ich dies vor mehr als einem Jahrzehnt schrieb, war ich noch kerngesund (oder dachte es zumindest ...), hatte ein paar Jahre zuvor Rauchen und Saufen aufgegeben und fühlte mich gut. Von daher ist die Annäherung an das beschriebene Objekt eher rein philosophisch zu verstehen. An ablaufende Lebenszeit dachte ich damals noch nicht ...

Vielen Dank für eure Gedanken zu diesem Altwerk.  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
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Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Der Zeiger
« Antwort #6 am: Mai 10, 2021, 10:22:34 »
Hi eKy!

Dieses wunderbare Werk verdient es wirklich - samt des schönen Kommentars von Cypi - wieder einmal an die Wiesenoberfläche zu gelangen! :) Cypi hat es wirklich gut getroffen: Die Uhr als Symbol des Lebens, der Lebenszeit und alles Vergänglichen ist eigentlich ein recht gut abgehangenes Motiv; Du hast aber mit winzigen Feinjustierungen der beinahe schon ausgeleierten Metapher neues Leben eingehaut - eine Uhrmacherkunst der besonderen Art!

Nur (a) ein ganz kleiner syntaktischer Stolperer und (b) ein grammatisches Fragezeichen, das mich gerade etwas überfordert...
ad (a): "wovon er mir bezeugen soll" => "wovon" kann man m. E. nur dann als Adverb benutzen, wenn das zugehörige Verb auch Konstruktionen mit "von" erlaubt ("Wovon redest du da? Ich rede von deiner Vorliebe für Nudeln mit Tomatensoße."). Das Verb "bezeugen" erlaubt aber nach meinem Sprachgefühl keine Anschlüsse mit "von". Also: "Herr Richter, an dem besagten Abend hab ich die ganze Zeit mit Herrn Capone Maumau gespielt, das kann ich bezeugen." und nicht: "... davon kann ich bezeugen.".
Vorschlag: "und doch, wovon er Kunde geben soll, nichts weiß."

ad (b): Hier bin ich, wie gesagt, grammatisch überfordert: Heißt es wirklich "manchen Tag" oder nicht doch eher "manchen Tags" oder geht beides? Bei Konstruktionen mit "so" wär ich mir einigermaßen gewiss: "So manchen Tag (nicht: Tags) verbrachte ich mit der Lektüre von Gedichten." aber ohne das "so" klingt es für mich irgenwie wie eine genetivische Konstruktion. In den alten Sprachen gibt es den Genitivus temporis, aber gibts das auch im Deutschen? I'm verwirrt...

Davon abgesehen mal, sei abschließend aber die Fülle ganz köstlicher Wendungen hervorgehoben, die den Sprachverstand zu kitzeln wissen: "ins Runde tasten" (großes Kino!) oder "auswegleer" statt des banaleren "ausweglos" oder "Aufziehherz" (yeah!).
Also wirklich hocherfreut gelesen!

S.
« Letzte Änderung: Mai 10, 2021, 17:47:21 von Sufnus »

Erich Kykal

Re: Der Zeiger
« Antwort #7 am: Mai 10, 2021, 18:34:18 »
Hi Suf!

Danke für das Lob und die sprachlichen Auslotungen. Ich schrieb dies vor gut 15 Jahren, es kann also sein, dass sich da manche Stellen nicht so ganz auszugehen scheinen.

S1Z4 - Hier ist einfach aus Verkürzungsgründen das "von dem" weggelassen, welches der ursprüngliche Bezug des Einschubs war: "und doch von dem, wovon er mir bezeugen soll, nichts weiß." Stattdessen steht der Einschub (zwischen den Kommata) nunmehr quasi selbst für die Weglassung. Mir zumindest fiel es damals nicht als "gewagt" oder gar falsch auf, ich konnte mich mmer auf ein fast untrügliches Sprachgespür verlassen und dachte wie selbstverständlich, das man dies so formulieren kann.
Ob dein Einwand richtig ist, kann ich nicht sagen. Dein Vorschlag ist gut - sollte sich erweisen, dass meine (alte) Version tatsächlich unkorrekt ist, greife ich gern darauf zurück. Da diese alte Version aber so in meinem Büchern steht, will ich wirklich sicher sein. Dort könnte ich sie aber ohnedies nicht mehr korrigieren.

S3Z1 - Hier denke ich, das wirklich beides geht, wobei "manchen Tags" sicher die sprachlich gediegenere Variante ist, wie fast immer die Anwendung eines Genitivs. Im vorliegenden Fall klingt die Zeile aber bei Weglassung des "s" phonetisch homogener, flüssiger. Zischlaute sollte man im lyrischen Bereich immer möglichst vermeiden, wenn möglich.
So zumindest meine unwürdige Ansicht.

LG, eKy

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horstgrosse2

Re: Der Zeiger
« Antwort #8 am: Mai 17, 2021, 15:38:52 »
Grüße.


Interessanter Text. Deine Wiedergabe ist etwas erhabener, meine dagegen "seichter".

Aber, Zitat: und doch, wovon er mir bezeugen soll, nichts weiß...

in: und doch, wovon er mir bezeugen könnt, nichts weiß... ??

Das solls sein.

Erich Kykal

Re: Der Zeiger
« Antwort #9 am: Mai 18, 2021, 17:24:59 »
Hi HG2! (und Suf)

Was meinst du mit "Wiedergabe"?

Dein Vorschlag "könnt" ist leider unpraktisch. Zum einen eine unschöne Verkürzung (das "e" fehlt), zum anderen ändert er nichts an der von Sufnus angezeifelten Formulierung der ganzen Phrase.

Dazu: Ich bin von "wovon er zeugen soll" ausgegangen, und aus metrischen Gründen fühte ich noch das "mir be-" mit ein, nicht bedenkend, dass sich damit etwas an der Gesamtkonstruktion ändern könnte.

Das Gedicht steht seit langem so in meinen Büchern, und ich bin mir zudem nicht wirklich sicher, ob meine Variante tatsächlich falsch ist:

Anders formuliert: Der Zeiger soll mir bezeugen, wieviel Uhr es ist. Wovon soll er mir bezeugen? Von der Uhrzeit. Seltsam, dass er selbst (von dem), wovon er mir bezeugen soll, nichts weiß.

LG, eKy
« Letzte Änderung: Mai 19, 2021, 00:26:20 von Erich Kykal »
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Sufnus

Re: Der Zeiger
« Antwort #10 am: Mai 18, 2021, 18:53:28 »
Hi Ihr!
Also ich hab auch nochmal nachgedacht und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass "wovon ich bezeugen will" zwar kein Standarddeutsch ist (auch kein gehobenes Standarddeutsch) und in einem Sachtext eine etwas grenzlastige Formulierung wäre, dass es aber als Ausdruck einer dichterischen Sprachbesonderheit in einem poetischen Text gelten kann! :)

Der Punkt ist, dass hier die Üblichkeit der Grammatik im Widerstreit mit einem sehr hochrangigen Präzedenzfall liegt und somit geht der Punch zwischen Sprach-Beckmesser und eKy zugunsten von eKy aus! :)

Zur Üblichkeit der Grammatik: Eigentlich steht "bezeugen" mit Akkusativ:
Bsp.: Ich bezeuge einen bestimmten Sachverhalt.
Das Wörtchen "von" fordert aber den Dativ:
Bsp.: Das hätte ich von Dir nicht gedacht.

eKy hat das selbst obig ganz richtig geschrieben, als er in seiner ersten Antwort auf meine Überlegungen die Verkürzung aufgelöst hat: "und doch von dem (!), wovon er mir bezeugen soll, nichts weiß." => "von dem" ist Dativ und das ist nicht der übliche Kasus nach "bezeugen".
Soweit die Standarddeutsche Lesart.

Jetzt ist es aber in der dichterischen Sprache zulässig, diese Standardregeln in gewissen Grenzen zu verlassen und gerade im Fall dieser ominösen "von-Formulierung" gibt es ein schönes Beispiel...
Das Verb "sagen" steht, wenn es denn mit einem Objekt erweitert wird, ebenfalls üblicherweise mit Akkusativ und nicht mit einem mit "von" gebildeten Ausdruck:
Bsp.: Ich sage die Wahrheit.
Anderes Bsp.: Ich sage diesen Satz jetzt nicht.

Aber jeder hat wohl die ruhmreiche Wendung in den Ohren: "Der guten Mär bring ich so viel, / davon ich singen und sagen will."

Summasummarum: Was Luther darf, darf unser eKy auch! :)

LG!
S.
« Letzte Änderung: Mai 18, 2021, 20:28:58 von Sufnus »

horstgrosse2

Re: Der Zeiger
« Antwort #11 am: Mai 19, 2021, 08:43:20 »
Hi HG2! (und Suf)

Was meinst du mit "Wiedergabe"?

LG, eKy

Deine Texte, die Formulierung.

 

Erich Kykal

Re: Der Zeiger
« Antwort #12 am: Mai 19, 2021, 09:55:31 »
Hi HG2!

Ach so.

Ich fragte deshalb, weil man bei "Wiedergabe" sofort an ein Tondokument denkt, das man mit einem Gerät abspielt.

Ich dachte, du meinst den gesprochenen Vortrag und wunderte mich, ob du möglicherweise im Besitz meiner CDs bist. (Vor fast 10 Jahren habe ich die besten Gedichte aus meinem ersten Gedichtband "Weltenwege" auf eine gleichnamige Doppel-CD gesprochen)

Bei der Anmutung von still gelesenen Texten verwendet man zu deren Einordnung eher Ausdrücke wie "lyrischer Stil", "Wortwahl", "Formulierweise" usw ...

LG, eKy
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