Autor Thema: Hashtag  (Gelesen 1108 mal)

Eisenvorhang

  • Gast
Hashtag
« am: Januar 26, 2020, 18:44:36 »
wir planen den hashtag der wilden gelüste,
den passenden fanden wir leider noch nicht,
im rhythmus des kusses, erschwellen die brüste,
ich küss deine wangen und schreib ein gedicht.

wir twittern die wälder der lust und der liebe,
dein körper, ein snapchat im Seidengewand,
der zucker der nächte, ein tiegel der triebe,
in dem sich mein körper mit deinem verband.

wir spielen ein quiz, das in facebook beliebt war,
in dem man mit tränen die sterne begießt.
dann find ich den engel, dein trauriges haar,
und weiß, dass dein abschied den hashtag beschließt.
« Letzte Änderung: Januar 28, 2020, 18:50:08 von Eisenvorhang »

Seeräuber-Jenny

Re: Hashtag
« Antwort #1 am: Januar 26, 2020, 19:44:39 »
Hallo Eisenvorhang,

wie schön, dich wieder auf unserer Wiese begrüßen zu können!

Und dann gleich dieses schöne Liebesgedicht, das zeigt, dass auch im Web Platz für große romantische Gefühle ist..

Noch ein paar Vorschläge, um das Gedicht abzurunden:

In der ersten Strophe hakt es mit der Metrik. Du könntest z.B. schreiben:

den passenden rhythmus, den fanden wir nicht,
im gleichklang des kusses…


Weil „rhythmus“ jetzt schon mal vorkäme.

In der 2. Strophe würde ich „in wäldern“ schreiben.

wir twittern in wäldern der lust und der liebe

Und tun es den zwitschernden Vögelchen gleich  ;)

In der dritten Strophe ist die Metrik nicht perfekt. Mein Vorschlag:

wir spielen ein quiz, das in facebook beliebt war,
...
dann find ich den engel, dein trauriges goldhaar

„goldhaar“ ist vielleicht nicht so optimal, aber vielleicht findet sich ja noch eine bessere Möglichkeit, um eine betonte Silbe einzufügen.

Lieben Gruß
Seeräuber-Jenny
Ideale sind wie Sterne. Wir erreichen sie niemals, aber wie die
Seefahrer auf dem Meer richten wir unseren Kurs nach ihnen.
Carl Schurz

Eisenvorhang

  • Gast
Re: Hashtag
« Antwort #2 am: Januar 26, 2020, 19:52:54 »
Hi Jenny,

ich danke dir für dein Feedback - ich bin ein Gefühlsmetriker...  ::) Ich strebe eine perfekte Metrik nie an und wenn es passt, super!
Aber nicht auf Biegen und Brechen, dafür bin ich zu faul.  O0
Aufgrund der zwei Vokale "e" bestehen in der Betonung die Regeln der Einsilbigkeit. Passend wird betont gesprochen. Also:
den passenden fanden wir jedoch noch nicht,
xXxxXx(x)XxxX

Ach hier, das Jedoch ist falsch! Ich tausche es mit leider aus..

und

wir spielen ein quiz, das in facebook beliebt war
xXxxXxxXxxXx
Ich finde in der Metrik also einen Fehler, wenn ich mir die Mühe mache... :)
Das Beliebt kaufe ich, danke!

Denn einsiblige Wörter dürfen betont und unbetont gesprochen werden und im Härtefall entscheidet der dominierende Vokal der natürlichen Sprache.


Zwei mal Rhythmus? Ich glaube du hast dich hier vermacht! :) Der kommt nämlich nur einmal vor, vgl. Gedicht.

Deine Vorschläge finde ich gut und werde darüber nachdenken.
Das traurige Haar gefällt mir aber so wie es ist. Die eine Silbe verschmerze ich.

Ich danke dir!

vlg

EV
« Letzte Änderung: Januar 27, 2020, 00:48:39 von Eisenvorhang »

Sufnus

Re: Hashtag
« Antwort #3 am: Januar 27, 2020, 14:22:59 »
Hi EV!

Schön, dass Du nun auch wieder in voller Pracht die Wiese bevölkerst! :)

Ich mag es, wenn man bei einem Gedicht erkennen kann, in welchem Jahrhundert es geschrieben wurde, insofern find ich es gut, wenn in ein heutiges Gedicht auch Facebook & Co. Eingang finden.

Bei Deinen Versen ist der Einbau von social media-Vokabular offenbar sogar Teil des poetologischen Programms: In jeder Strophe wird gezielt eine "Online-Sprech"-Vokabel eingebaut. Das ist mir persönlich dann schon wieder fast zu demonstrativ, auch weil es eigentlich nicht wirklich mit dem Inhalt des Gedichts verbunden ist. Denn auf der Inhaltsebene wird ja hier eines der ältesten Themen der Lyrik überhaupt besungen: Das Ende einer Liebesbeziehung. So gesehen sind für mich persönlich die eher ornamentalen, modernen Begriffe nicht zwingend.

Was mir sonst auffällt, ist die durchgehende Kleinschreibung. Ich hatte schon wo anders geschrieben, dass es mir ziemlich egal ist, ob in einem Gedicht normale Orthographie, konsequente Großschreibung am Zeilenanfang oder durchgehende Kleinschreibung benutzt wird und ob dabei die gängige Regeln der Interpunktion befolgt werden oder nicht (bis zum völligen Verzicht auf Satzzeichen). Grundsätzlich finde ich es aber gut, wenn sich aus dem Verzicht auf normale Schreibregeln irgendein poetischer Mehrwert im Gedicht ergibt, so dass die gewählte Schreibweise nicht willkürlich wirkt. In Deinem Gedicht nun ist die durchgängige Kleinschreibung wahrscheinlich in Analogie zur gängigen Kurznachrichtenschreibe in ihrer sehr vereinfachten (höflich formuliert) Orthographie gewählt. Dieses Schriftbild erzeugt durch den Wegfall der üblichen Satzstrukturierung bei mir beim Lesen eine gewisse gehetzte Atemlosigkeit und das passt hier gar nicht schlecht, finde ich. Insofern geh ich damit d'accord.

Detailkritikpunkte wären bei mir:
- Z1/Z2: planen... passenden: Diese beiden Vokabeln sind mir zu flach und brav. Braucht man hier überhaupt vollständige Sätze mit Verb? Wenn es schon auf schwellende Brüste zielt, könnte hier m. E. noch ein Schuss mehr Wildheit nicht schaden.
- Z6: seidnen: Die Verkürzung ist metrisch unnötig und für mich etwas unschön: im seidnen gewand => im seidengewand
- Z7: spiegel: Der Spiegel ist mit dem (schönen!) vorangehenden Bild vom "zucker der nächte" überhaupt nicht verbunden und wirkt daher "klanggeschuldet". Wie wäre es mit tiegel? Erzeugt auch Assonanzen zu den trieben und macht im Zusammenhang mit Zucker (Zuckerkristalle, die im Tiegel vermengt werden) weitaus mehr Sinn.

Und was mir übrigens gut gefällt ist der (eigenwillige) transitive Gebrauch des Verbs "twittern". Jennys Korrektur ergibt grammatisch natürlich mehr Sinn, aber die Widerborstigkeit des transitiven Ausdrucks mag ich tatsächlich ganz gerne (ich weiß aber jemanden hier, den wird dieser Ausdruck betrüben, genauso wie die Kleinschreibung) ;) :)

VG!

S.
« Letzte Änderung: Januar 27, 2020, 14:25:48 von Sufnus »

Erich Kykal

Re: Hashtag
« Antwort #4 am: Januar 27, 2020, 19:01:29 »
wir planen den hashtag der wilden gelüste,
den passenden fanden wir leider noch nicht,
im rhythmus des kusses, da schwellen die brüste,
ich küss deine wangen und schreib ein gedicht.

wir twittern die wälder der lust und der liebe,
dein körper, ein snapchat im seidnen gewand,
der zucker der nächte, ein spiegel der triebe,
in dem sich mein körper mit deinem verband.

wir spielen ein quiz, das in facebook beliebt war,
in dem man mit tränen, die sterne begießt.
dann find ich den engel, dein trauriges haar,
und weiß, dass dein abschied den hashtag beschließt.


Hi EV!

Interessante Vermählung von 1netzbegriffen und Gefühlswelten. Worauf das abzielt, sollte nicht erläutert werden müssen - gut gebrüllt!

Sprachlich wohlgefasst - bis auf S1Z3: Das "da schwellen" erscheint suboptimal. Schöner: "im rhythmus das kusses erschwellen die brüste" - oder gleich ein anderes Wort an nämlicher Stelle mit drei Silben, zB "erröten". Dann natürlich ohne Komma nach "kusses".

Peanuts:

S3Z2 - Kein Komma nach "tränen".
S3Z2 - stimmt so metrisch nicht. Das Schema der Strophen hier ist:
xXxxXxxXxxXx
xXxxXxxXxxX
xXxxXxxXxxXx
xXxxXxxXxxX

Du hast in S3Z3 aber: xXxxXxxXxxX
Mögliche Korrektur: "dann find ich den engel, dein trauriges haupthaar (oder: schamhaar?)," - xXxxXxxXxxXx


Ob man die Alles-klein-schreibe-Attitüde in Gedichten gut findet oder nicht, ist wohl Geschmacksache. An gewissen Stellen strengt es schon an, zB wenn am Ende einer Zeile ein Punkt ist und die nächste Zeile dann klein beginnt - man ist doch kurz abgelenkt ob der leichten Verwirrung, die sich zwangsläufig einstellt. Das mindert insgesamt den Lesegenuss ein wenig, wie ich finde.
Zudem machen sich meist solche Dichter derlei Manierismen zu eigen, die wohl fürchten, ohne solche formalen Gimmicks zu wenig lyrischen Wiedererkennungswert oder individuelles Format zu haben - meist also ein Indiz für einen "poetischen Minderwertigkeitskomplex". Ich finde, gute Lyrik hat solche Spielereien nicht nötig - und die deine ist in letzter Zeit SEHR gut geworden!

Sehr gern gelesen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Eisenvorhang

  • Gast
Re: Hashtag
« Antwort #5 am: Januar 27, 2020, 20:38:43 »
Hallo Sufnus, Erich,

ich bedanke mich für eure sehr klugen Ratschläge, die mir tatsächlich, bis auf die Schamhaare  ;D ;D ;D ;D, sehr gefallen und wenn es für euch okay ist, würde ich diese gern übernehmen!

Die Kleinschreibung soll hier ein wenig der Provokation dienen. Antrieb für dieses Gedicht war der Kampf und das immer wieder aktuelle Thema zwischen alter Sprache und neuer Sprache.
In Kritiken lese ich immer wieder: "Die Sprache sei verbraucht, alt und nicht mehr aktuell". 
Das Alte habe ausgedient und sei nicht mehr zu gebrauchen.
Das finde ich komplett beschissen und erachte diese Haltung und Forderung für unreflektiert und kaltbrüstig.
Woher stammt denn sonst der Gesang der Lyrik, die Poesie, wenn nicht aus der echten Emotion und aus der tiefen Empfindung von Glück und Leid?

Das Gedicht möchte sich dagegen etwas zur Wehr setzen.
Denn ich persönlich mag die tiefe Emotion und das einfache und alte Wort.

Ich danke euch!





vlg

EV 
« Letzte Änderung: Januar 27, 2020, 20:55:53 von Eisenvorhang »