Autor Thema: Perspektivwechsel  (Gelesen 1210 mal)

gummibaum

Perspektivwechsel
« am: M?RZ 13, 2017, 20:37:40 »
Ein Stab steht reglos da wie all die Stäbe,
von denen jeder jeden eisern hält.
Doch fühlt er einen Tierblick, müd, als gäbe
es eine andere und freie Welt.

Das Tier erzählt davon durch starke Schritte,
mit denen es im kleinsten Kreis sich dreht,
als tanze seine Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Und manchmal sieht der Stab in der Pupille
ein Glänzen, so, als ging ein Bild hinein.
Doch scheint ihm dann das Tier erstarrt in Stille 
und auch ein bloßer Eisenstab zu sein.
 


« Letzte Änderung: M?RZ 14, 2017, 07:30:58 von gummibaum »

Erich Kykal

Re: Perspektivwechsel
« Antwort #1 am: M?RZ 13, 2017, 20:57:14 »
Hi Gum!

Eine berückende Hommage an Rilke's Panther - aus der Sicht des Käfigeisens geschrieben! Welch erfrischende Perspektive!

Du musst wissen, dieses Gedicht - damals noch Standard im österreichischen Schullesebuch - war meine Initialzündung in Sachen Lyrik, als ich so um 11, 12 herum war!
Ich weinte Tränen um den armen Panther und war tief beeindruckt, dass ein paar gereimte Sätze so etwas auslösen konnten. DAS wollte ich auch können!

Allergernst gelesen! Das hätte verdient gehabt, für sich zu stehen!


Das 2. Gedicht passt nur insoweit zu dem ersten, als es auch hier um eine umgekehrte Perspektive geht. Allerdings verstand ich das erst durch den Erklärungssatz hintennach, denn es gibt durchaus nicht unerheblich viele Männer, die gern zur Domina gehen und sich genau SO behandeln lassen, weil sie drauf stehen. Und so habe ich es zuerst denn auch für mich interpretiert.

Die Quartette sind besonders "drastisch" - ehrlich, mir grauste ein wenig beim Lesen, und ich bin keiner von den Empfindlichen, was Erotik betrifft. Aber deine Wortwahl zaubert Bilder von Huren, wie sie zur Zeit von Jack the Ripper in den Londoner Slums umgingen, verlaust, verdreckt und in besseren Lumpen, besonders das mit den ausgelutschten Brüsten, verfaulten Zähnen, ungewaschner Scham usw - Bäh, nicht meins! Wuärks!

Die Werke sind trotz der einen Verwandtschaft insgesamt so unterschiedlich, dass ich dringendst rate, sie einzeln einzustellen! Das zweite verwüstet jedenfalls brutal die Stimmung des ersten - und das gefällt mir ganz und gar nicht!

Sehr gern gelesen, aber nicht unter dem ersten.


LG, eKy
« Letzte Änderung: Februar 17, 2022, 10:16:15 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Perspektivwechsel
« Antwort #2 am: M?RZ 13, 2017, 22:02:13 »
Danke, Erich,

ich sah den Perspektivwechsel als Gemeinsamkeit, trenne die Gedichte nun aber.  Den Panther lernte ich auch so früh kennen. Allerdings zu Hause. Meine Eltern lasen Gedichte und schrieben auch welche. So kam ich dazu. Ist ein wirklich tolles Gedicht von deinem Lieblingsdichter.

LG gummibaum


cyparis

Re: Perspektivwechsel
« Antwort #3 am: M?RZ 24, 2017, 15:37:24 »
Lieber gummibaum,

was sollte ich hinzufügen, was Erich nicht schon geschrieben hat?
Zu einem Gedicht, das seine Wirkung auf die Leser nie verfehlen wird, stellt sich ein Pendant mit umgekehrten Vorzeichen.

In der Wilhelma sah ich einen bedauernswerten Tiger, dem Gleiches widerfuhr wie Rilkes Panther.
Beide Eindrücke zusammen - ein nachhaltiger Alptraum in wunderschöne Verse gekleidet.

Lieben Gruß
von
Cyparis

Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

gummibaum

Re: Perspektivwechsel
« Antwort #4 am: M?RZ 26, 2017, 13:04:55 »
Danke, liebe cyparis.

Die Wilhelma hat mir als Kind Tränen beschert, da ich nicht ertragen konnte, dass die Schildkröten sich gegeseitig auf den Panzer treten.

LG gummibaum