Autor Thema: Auf dem Spielplatz  (Gelesen 3010 mal)

gummibaum

Auf dem Spielplatz
« am: Januar 10, 2017, 19:14:27 »
Auf einem Spielplatz: Streiterei.
Ein Junge, noch recht klein,
ruft laut: „Ich bin die Polizei
und sperre euch jetzt ein!“

Die Großen geben sich die Hand.
Dann stopfen sie dem Wicht
den Mund zum Spaß mit nassem Sand.
Er wehrt sich scheinbar nicht.

Sie rufen: „Hallo, Polizei,
was kuscht du denn sofort?“
Doch geht die Stille nicht vorbei.
Es ist ihr erster Mord...

Erich Kykal

Re: Auf dem Spielplatz
« Antwort #1 am: Januar 10, 2017, 23:02:09 »
Hi Gum!

Gruselig, und man weiß erst mal nicht, worauf du damit hinaus willst. Wird hier die menschliche Gefühlskälte und Grausamkeit um ihrer selbst willen beschrieben, so lapidar, als wäre sie selbstverständlich - was ist die Moral von der Geschicht? Oder soll es bedeuten, dass es letztlich eben keine Moral gibt, wenn sie nicht sorgfältig anerzogen wird? Und sind jene, die sie anerzogen bekamen, später nichts weiter als die Opfer derer, bei denen das nicht der Fall war?

Der Text lässt erschaudern und regt zum Nachdenken an - aber das Ergebnis will einfach kein positives werden!  :( :-\

LG, eKy
« Letzte Änderung: Januar 31, 2017, 23:51:50 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Auf dem Spielplatz
« Antwort #2 am: Januar 10, 2017, 23:55:38 »
Hallo Erich,

hier ist keine Moral, nur ein Vorfall: Den Kleinen regt die Streiterei der Großen auf, und er reagiert aus seiner Spielwelt/phantasie heraus, in der er vielleicht den Papa in der Rolle als Polizei verhaften durfte. Aber die großen Jungs provoziert das als Anmaßung. Sie geben ihren Streit auf, um den  Wichtigtuer drastisch auf seinen Rang zurückzubuxieren. Dabei wählen sie (die ja auch noch Kinder sind) ebenfalls ein übetriebenes Mittel, und so endet der Vorfall tödlich. 

LG g

Erich Kykal

Re: Auf dem Spielplatz
« Antwort #3 am: Januar 11, 2017, 00:31:40 »
Hi Gum!

Bei so makabrem Inhalt muss man allerdings fragen, welchen Sinn solch ein Gedicht hat, wenn der Autor keine Moral verfolgt.

Eine Art "lyrischer Journalismus" vielleicht, der einfach nur wertfrei dokumentieren will, was so passiert in der Welt? - Aber falls dem so wäre: auch solche Motivationen wurzeln in einem bestimmten Wollen - nur welches wäre das hier?

Anders gefragt: Was treibt dich dazu, sowas zu schreiben, wenn du damit keinen pädagogischen Effekt verbinden willst!? Pure Lust am Beschreiben des grausamen, sinnlosen Sterbens eines Kindes? So zumindest könnte man annehmen ...

Ich muss zugeben, ich verstehe es nicht.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Auf dem Spielplatz
« Antwort #4 am: Januar 11, 2017, 19:12:23 »
Lieber Erich,

mein kleiner Sohn machte den Ausspruch größeren Jungen gegenüber, und sie wirkten auf mich so provoziert, dass ich zu ihm eilte und ihn wegtrug. Mich selbst hatten größere Kinder mal auf dem Hof eingesperrt, legten mich auf den Rücken und knieten sich auf meine Oberarme. Als ich nach meiner Mutter rief, sagten sie, die höre mich nicht und zu der würde ich nie wieder zurückkommen. Erst als ich heulte, ließen sie mich irgendwann frei.     

LG g

« Letzte Änderung: Januar 11, 2017, 19:29:15 von gummibaum »

Erich Kykal

Re: Auf dem Spielplatz
« Antwort #5 am: Januar 11, 2017, 22:42:54 »
Hi Gum!

Also geht es um die Verarbeitung eines Kindheitstraumas und darum, das eigene Kind davor zu schützen. Das kann ich nachvollziehen. Also hat das Gedicht durchaus eine moralische Botschaft - warum aber hast du das geleugnet?

Ich selbst wuchs zur Hälfte auf dem Land auf wurde dort auch öfter mal gefesselt, verschleppt, man drohte mit allem möglichen oder zog mir die Hosen runter, denn ich war der Sohn des reichen Professors, ein Zugereister, und die Bauernbuben der Umgebung hatten für meine Kritik nichts übrig. Einmal töteten sie einen Jungvogel, der aus dem Nest gefallen war, vor meinen Augen, nur weil ich dagegen gewesen war, ihn lebendig der Katze vorzuwerfen.
Landkinder in den Sechziger- und Siebzigerjahren waren eher derb gestrickt, und Tierschutz oder Mitleid mit der Kreatur waren unbekannt. Sie schlugen kleine Kätzchen mit Begeisterung gegen die Wand, wenn der Bauer nicht noch mehr Tiere auf dem Hof haben wollte, die kleinen Kadaver wurden einfach auf dem Misthaufen entsorgt.
Das Auf-einen-Draufsetzen war auch mir geläufig, zuweilen mit Spucke ins Gesicht fallen lassen und ähnlichen kleinen Demütigungen mehr wie: "Sag, dass du ein armseliges kleines Arschgesicht bist - vorher steh ich nicht auf!"

Ich habe in meiner Kindheit auf dem Lande einiges erlebt, was später einen Psychiater hätte reich machen können, aber schlimmer war für mich eigentlich das jahrelange Mobbing meiner Schulkameraden in der Stadt. Du siehst, ein jeder hat wohl so ein Päckchen zu tragen!  ::)
Letztlich lehren uns solche Erlebnisse aber auch, in einer kalten Welt zurechtzukommen - und die seltenen Augenblicke von Liebe und Wärme umso mehr zu schätzen und zu genießen.
Ich machte mich unverwundbar, indem ich mir keine Emotionen mehr anmerken ließ und meine persönliche Befindlichkeit nicht mehr von der Wertschätzung anderer abhängig machte. Aber auch da sind die Bewältigungsmechanismen wohl bei jedem anders ...

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Auf dem Spielplatz
« Antwort #6 am: Januar 12, 2017, 21:07:43 »
Danke, Erich für die Erzählung aus Kindertagen, die ich mit Interesse gelesen habe. Aber ich habe bei dem Gedicht auch ein bisschen an Brittings Kurzgeschichte "Brudermord im Altwasser" gedacht.

LG gummibaum

wolfmozart

Re: Auf dem Spielplatz
« Antwort #7 am: Januar 21, 2017, 11:12:46 »
Hallo Gummibaum,

brutal geschrieben, da stockt eimem kurz der Atem bei den letzten Versen.

Kinder sind oft brutal, sie sind authentisch nicht unserer gesellschaftlichen Moral unterworfen.

In diesem Sinne verstehe ich wenn du hier keine Verurteilungen fällen willst.

Ein gutes Gedicht.

Gruß wolfmozart

Curd Belesos

Re: Auf dem Spielplatz
« Antwort #8 am: Januar 31, 2017, 23:48:22 »
moin moin gummibaum,

dein "Mord" ist ja wohl nur dem "sofort" geschuldet, denn Mord setzt Planung voraus.

Kinder wissen aber manchmal nicht was sie tun, sie wollten Ruhe haben und stopften ihm das Maul im wahrsten Sinne des Wortes.

Der Sohn von meinem Cousin machte es mit drei Jahren genauso, sein Vater lag schnarchend am Strand und er nahm eine Schaufel voller Sand. Der Vater hat es überlebt, Zuckersand ist gar nicht süß und lustig  >:D

Der Sinn deines Gedichtes kommt trotzdem gut rüber  ;)

LG
CB
Nur wenn du frei bist " IF " ....dann bist du ein Mensch

cyparis

Re: Auf dem Spielplatz
« Antwort #9 am: Februar 13, 2017, 11:12:28 »
Lieber gummibaum,

ein drastisches Gedicht über die noch nicht entwickelte Empathie der Kinder, die ungeheuer grausam sein können.
Ich hatte ein ähnliches Erlebnis. Erst als ich mich totstellte, ließen sie von mir ab, über sich selbst erschrocken.
Manchmaltaucht das in meinen Träumen wieder auf.

Hast Du einprägsam geschildert!

Lieben Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
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