Autor Thema: Schandfleck  (Gelesen 1283 mal)

Erich Kykal

Schandfleck
« am: Januar 06, 2017, 09:48:52 »
Die Bettler stehen, wo die Menschen eilen,
am Rande ihrer Strömung wie Verfemte,
und wer sie wahrzunehmen sich bequemte,
blickt anderwärts und möchte nicht verweilen.

Sie sind der stumme Punkt in lauten Zeilen,
die gern so tun, als ob kein Satz je ende
und warten, recken heischend ihre Hände
ins Bad der Mienen, die nicht gerne teilen.

Die bleiben kalt und fühlen sich belästigt
von dieser Armut, die ihr Glück entheiligt.
Zum Schutze wird ein Vorurteil verfestigt,

das Gründe nährt, die Not zu ignorieren.
Man geht vorüber und tut unbeteiligt -
und fühlt doch tief, dass alle so verlieren.
« Letzte Änderung: Januar 06, 2017, 09:50:54 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re: Schandfleck
« Antwort #1 am: Januar 09, 2017, 17:53:49 »
Lieber Erich,

leider ist es oft so.
Ich gebe gern mein Scherflein.
Die Stadtoberen hätten aber wohl gerne wieder Schilder "Betteln verboten!".
Eine Schande.



Lieben Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re: Schandfleck
« Antwort #2 am: Januar 09, 2017, 20:20:52 »
Hi Cypi!

Ich schreibe solche Bettlergedichte auch aus schlechtem Gewissen, weil ich nicht immer gebe, denn wer kann sagen, ob man da nicht einem bandenmäßig betriebenen Betrug aufsitzt: Der Zerlumpte schlurft heim, sobald er genug abgesahnt hat, duscht, zieht sich um - und hat ganz gut verdient!
Frauen und Kinder werden aus Rumänien herangekarrt, um hier mit Leidensmiene und ein paar Brocken gebrochenen Deutschs um Almosen zu heischen, die sie dann an ihre Bandenbosse abgeben müssen. Es hat sich herausgestellt, dass sogar manche Studenten vor Supermärkten die "Kupfermuckn" (österr. "Bettlerzeitschrift" - ein Alibiprodukt ohne inhaltlichen Nährwert, das für "Spenden" feilgeboten wird) anbieten, um "ihr Studium zu finanzieren"! Wirklich - oder geht es nur um die nächste Alksause?

Man weiß eben nie, ob man wirklich jemandem hilft, oder ob man vom "Opfer der Umstände" hinter seiner Demutsmiene innerlich gerade schallend ausgelacht wird!

Dass es Not und Bedürftigkeit gibt, ist zweifellos real, und man kennt es den Bettlern eben nicht immer an - nicht immer ist die beste "Verkleidung" als Bettler ein Garant für Glaubwürdigkeit - im Gegenteil! Und manche versiffte und versoffene Figuren sind auch einfach nur derart widerlich in Anblick, Geruch und Benehmen, dass man ihnen fast mit Genugtuung ihr Scherflein verweigert.

Es bleibt ein ambivalentes Gebiet anhaltender Zweifelhaftigkeit - leider! Weil es eben Arschlöcher gibt, die selbst aus der Not anderer noch persönlichen Gewinn schlagen - in jeglicher Hinsicht!  >:(

Vielen Dank für deinen Kommi!

LG, eKy
« Letzte Änderung: Juni 18, 2021, 22:31:44 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Schandfleck
« Antwort #3 am: Januar 11, 2017, 20:01:03 »
Hallo Erich,

ich kann deine Worte nur unterstreichen. Ich sehe selbst bedürftig genug aus, dass ich beide Seiten zu kennen glaube.

LG gummibaum


Erich Kykal

Re: Schandfleck
« Antwort #4 am: Januar 11, 2017, 22:45:16 »
Hi Gum!

Dazu wage ich nichts zu sagen - in diesem Fettnäpfchenparcour hätte wohl keiner eine Chance!  ;) ;D

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Marion Baccarra

Re: Schandfleck
« Antwort #5 am: Januar 15, 2017, 16:02:35 »
Lieber Erich

Ich gebe auch von Zeit zu Zeit einen kleinen Teil in der Hoffnung, das es der richtige war der es bekam.

Ja, du hast Recht. Man möchte nicht verweilen. Aber nicht aus Angst die Not wirklich zu sehen, sondern aus der Unsicherheit heraus.

Dein Sonett berührt mich und macht wieder einmal klar wie schwer es ist zu helfen, da wo Hilfe wirklich von Nöten wäre.

Die wahren Verlierer sind doch die, die wirklich in Not sind und niemand sieht es.

Dein Gedicht ist für mich Top! In jeder Hinsicht.

Liebe Grüße sendet dir

Marion:))
Aber die Abende sind mild und mein,
von meinem Schauen sind sie still beschienen;
in meinem Armen schlafen Wälder ein, -
und ich bin selbst das Klingen über ihnen,
und mit dem Dunkel in den Violinen
verwandt durch all mein Dunkelsein.

Rainer Maria Rilke, 2.2.1898, Berlin

Erich Kykal

Re: Schandfleck
« Antwort #6 am: Januar 15, 2017, 18:23:05 »
Hi Marion!

Zuletzt kam anderswo wieder stark die Ansicht auf, dass lyrifizierte komplexe Sprache, wie ich sie präferiere, nicht geeignet sei, Themen "modern und zeitnah" zu vermitteln, also ganz und gar unprätentiös nur dem Inhalt verpflichtet und nicht der Sprache selbst.
Ich kann das nicht nachvollziehen. Wenn Rilke - auch ein Vertreter der "verschwurbelten Sprachkunst", wie es leichthin genannt wird - über Bettler schreibt, dann rührt mich das tiefer an als ein "modernes" Gedicht mit vertontem Straßenlärm und nüchterner Zustandsbeschreibung der Faktenlage.

Danke, dass du diesbezüglich auf meiner Seite bist!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.