Autor Thema: Tiefe Stille  (Gelesen 2256 mal)

Jonny

Tiefe Stille
« am: Oktober 03, 2015, 13:16:35 »
In tiefer Stille fällt ein Blatt,
winkt einmal noch der Sonne zu,
als ob's genug gesehen hat,
schwebt es ganz frei dem Ende zu.

Wenn meine Zeit gekommen ist,
hab ich dann auch genug gesehen?
Wie lange währt sie noch, die Frist,
werd ich genauso leise gehen?

Was auch passiert, es war doch schön,
selbst wenn nicht immer Sommer war,
ich ging durch Tiefen, flog durch Höhn,
und liebte, was nicht Meines war...
« Letzte Änderung: Oktober 03, 2015, 16:14:28 von Jonny »

Erich Kykal

Re: Tiefe Stille
« Antwort #1 am: Oktober 03, 2015, 14:52:51 »
Hi, Jonny!

Schön zu lesen!

Drei Kleinigkeiten:

S1Z2 - Hier klänge eine leichte Inversion betonungsmäßig besser: "winkt einmal noch..."

S3Z3 - "Höhn" würde ich ohne Stricherl schreiben.

S3Z4 - beginnt betont nach einem unbetont auftaktenden Gedicht. Altern.: "und liebte, was nicht Meines war..."


Wir alle stellen uns wohl diese Frage, vornehmlich dann, wenn noch ein "sicherer Abstand" zum eigenen Ende zu bestehen scheint. ;)

Was mich das Leben nach 51 Jahren gelehrt hat? - Man hat nie genug gesehen und gelebt, aber man kann - aus welchen Gründen auch immer - zur Überzeugung gelangen, dass es anders wäre. Wer dann aufgibt, versäumt vielleicht vieles, was ihm bei besserer Stimmung das Leben noch viele Jahre lang lebenswert gemacht hätte.
Stimmungen schwanken, und nach jedem Tief geht es auch wieder bergauf. Solche Blattvergleiche mit dem eigenen Tod passieren immer - passend zur Jahreszeit - jetzt im Herbst. Hab's selber nicht anders gemacht! ;)
Da man aber die Zukunft nicht kennt und zum Zeitpunkt des tatsächlichen Ablebens sehr wahrscheinlich ein ganz anderer sein wird, sind derlei Gedankenspiele - so viel Laune sie dem Lyriker auch machen - im Grunde obsolet.

Das heißt nicht, dass ich das Werk inhaltlich ablehne - im Gegenteil. Es ist gut geschrieben, klar formuliert, und man weiß sofort, worum es geht. Der Rest von meinem Kommi ist wichtigtuerisches Psychogelaber! ::) ;D

LG, eKy
« Letzte Änderung: Oktober 04, 2015, 21:39:51 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Jonny

Re: Tiefe Stille
« Antwort #2 am: Oktober 03, 2015, 16:11:59 »
Lieber Erich!

Ich danke dir für deinen schönen Kommentar zu meinem Text, ich hoffe da in dieselbe Richtung.
Es ist so, wie du schreibst, man hat nie genug gesehen.
Die gleichen Tagesabläufe, der monotone Alltag, all das lässt manchmal die Frage aufkommen, ob man schon alles erlebt hat.
Die Frage, was könnte noch kommen?
Überwiegend Wiederholungen von lieb gewonnenen Angewohnheiten, von Ausflügen an bekannte schöne Orte, von Tagen an denen man seinen Wünschen hinterherschaut, weil die Karten vergeben sind...
Zurück zum Text.
Eigentlich sollte es ein Herbstgedicht werden, nur ab der dritten Zeile hat die Stimmung die Regie übernommen. ;D
Deine Vorschläge sind wieder das Salz in der Suppe, "und liebte, was nicht Meines war" gefällt mir sehr.
Denn andere Menschen kann niemand besitzen.
Ich sage wieder danke!

Liebe Grüße
Jonny

cyparis

Re: Tiefe Stille
« Antwort #3 am: Oktober 04, 2015, 14:52:17 »
Lieber Jonny -


ein wunderlich melancholisches Gedicht, das mich tief angerührt hat.
Du und Erich, Ihr seid ja gegen mich "Junggemüse", die noch Erwartungen, Ziele, Hoffnungen haben.
In meinem Alter sieht das ganz anders aus.
Es gibt nur noch wenig zu wünschen und zu hoffen - dafür wächst die Dankbarkeit, ein erfülltes Leben gehabt zu haben.
(Hauptsache: Gesund!).


Lieben Gruß Euch
(Erich, Dein Kommentar ist großartig!)

von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Jonny

Re: Tiefe Stille
« Antwort #4 am: Oktober 04, 2015, 19:27:52 »
Liebe Cyparis!

Hab ganz lieben Dank!
Irgendwann werden wir alle unsere Wünsche zurückstellen, so wie du es schreibst dankbar sein,
für alles was wir erleben durften...
Einen schönen Sonntagabend dir!

Liebe Grüße
Jonny

Curd Belesos

Re: Tiefe Stille
« Antwort #5 am: Oktober 04, 2015, 23:25:00 »
In tiefer Stille fällt ein Blatt,
winkt einmal noch der Sonne zu,
als ob's genug gesehen hat,
schwebt es ganz frei dem Ende zu.

Moin moin Jonny,

da Erich schon seinen Kommentar über das Gedicht in seiner Gesamtheit  abgegeben hat, möchte ich dir zu der erste Strophe  sagen :" wunderbar" :)

Mehr geht nicht.

LG
CB
Nur wenn du frei bist " IF " ....dann bist du ein Mensch

Jonny

Re: Tiefe Stille
« Antwort #6 am: Oktober 06, 2015, 21:22:07 »
Das freut mich, Curd!
Hab vielen Dank.

Liebe Grüße
Jonny

gummibaum

Re: Tiefe Stille
« Antwort #7 am: Oktober 09, 2015, 21:27:33 »
Lieber Jonny,

das Gedicht ist sehr schön. Die fragende zweite Strophe und der letzte Vers des ganzen Textes gefallen mir besonders.

Liebe Grüße
gummibaum

Letreo71

Re: Tiefe Stille
« Antwort #8 am: Oktober 13, 2015, 23:12:40 »
Lieber Jonny,

erstaunlich, was so ein kleines Blatt bewirken kann. Die zweite Strophe finde ich besonders schön.

Stillen Gruß

Letreo

Jonny

Re: Tiefe Stille
« Antwort #9 am: Oktober 15, 2015, 21:49:54 »
Lieber gummibaum, liebe Letreo!

Ich freue mich über eure Kommentare, habt lieben Dank!

Liebe Grüße
Jonny