Autor Thema: Korrekt?  (Gelesen 1412 mal)

cyparis

Korrekt?
« am: August 29, 2015, 23:33:19 »

Damals





wurde ich befreit.
Der Krieg war aus!
Die Amis waren endlich da.
Er kam und lachte breit
verteilte Chewing-Gum
und spie nicht aus.
Hob mich auf seinen Jeep.
Und ließ vorm Tor
mich wieder raus.
Er lachte breit.
Und  hob die Hand.

Er war ein Neger.
Ihm winkt mein Gruß.

Seit wann sind
Negerküsse strikt verbannt?


29. August 2015
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re: Korrekt?
« Antwort #1 am: August 30, 2015, 10:45:02 »
Hi, Cypi!

Ich kenne die Problematik! Auch hier war in meiner Kindheit der Begriff "Neger" noch ganz normal gebräuchlich und vor allem nicht abwertend besetzt, so als würde man heute "Farbiger" sagen (oder ist DAS mittlerweile auch schon nicht mehr "politisch korrekt"?? Manchmal frage ich mich, wie weit wir uns von den Betulichtuern noch ins Bockshorn jagen lassen wollen!).

Astrid Lindgren's deutsche Übersetzung nennt in "Pippi im Takatukaland" ihren Vater noch ganz selbstverständlich "Negerkönig" (mittlerweile auch schon umgeschrieben!), und die von dir doppeldeutig verwendeten  "Negerküsse" waren lange Jahrzehnte eine ganz normale Süßspeise. Heute darf es aber keinen Sarottimohr mehr geben, auch die Firma Meinl bei uns (Kaffee und mehr) warb immer mit der schwarzen Kopfsilhouette eines nordafrikanischen Knaben mit Fes - und wurde mittlerweile vom Gutbürgertum dafür abgewatscht: Das sei nicht mehr "zeitgemäß".
Wenn damit eine Zeit der Übervorsichtigkeit und Duckmäuserei gemeint ist, in der man höllisch aufpassen muss, was man wie sagt, um nicht wegen Diskriminierung oder gleich Rassissmus verklagt zu werden oder einen veritablen Shitsorm im Internet zu ernten (und zwar von jenen, die zu allem was sagen, weil sie sonst nix zu melden haben - so nach dem Motto: Je oberflächlicher, bildungsferner und ordinärer, desto besser!) - dann bin ich ehrlich gesagt GERN altmodisch und von gestern!!!

Warum nun wurde "Neger" bei uns plötzlich "untragbar"? Viele meinen, weil die Nazis den Begriff abwertend benutzt hätten - aber das ist Bullshit! Diese Dumpfhirne hatten viel deftigere Bezeichnugen für derlei aus ihrer Sicht "minderem/lebensunwertem Leben".
Nein, es kam dazu einerseits durch die nach dem Krieg in Deutschland stationierten Amis, für die das deutsche "Neger" so klang wie das amerikanische "Nigger", was dort, wie man weiß, sehr abwertend gemeint ist. Es kam zu vielen diesbezüglichen Missverständnissen, und die meisten Deutschen hatten damals schon genug um die Ohren, anstatt über Begriffsauslegung zu streiten, und mit den Siegern wollte es sich auch keiner verderben, also akzeptierte man stillschweigend die amerikanische Sicht und benutzte den Begriff nicht mehr "offiziell".
Andererseits wurde der Ausdruck danach in vielen Kriegsfilmen den "bösen Deutschen" in den Mund gelegt, eben weil die Amis (die diese Filme meistens produzierten) dachten, die Worte "Neger" und "Nigger" wären inhaltlich gleichbedeutend. Und da das aktuelle Geschichtsverständnis nun mal medial gesteuert ist, wurde schlußendlich auch im deutschsprachigen Raum geglaubt, dieses Wort wäre immer schon ein rassisitsches Schimpfwort gewesen und bloß von unsensiblen Leuten oder ewig Gestrigen für die Werbung schokoladenfarbiger Produkte genutzt worden!

So gerinnt Meinung zu Wahrheit, wie so oft in der sog. "Geschichtsschreibung" - die, und das sollte man nie vergessen - mit tatsächlicher Objektivität eher marginal zu tun hat!
Ich will nicht behaupten, das meiste wäre erlogen, nein - es ist nur so, dass beinahe nie das ganze Bild überliefert wird. "Historie" ist ein kaleidoskopartiger Schaukasten von Momentaufnahmen, die man oft mehrfach deuten kann, vor allem bei immer größer werdendem zeitlichem Abstand. Und je einseitiger und oberflächlicher das geschichtliche Bild wird, desto bruchstückhafter und fehleranfälliger wird die allgemein anerkannte "Version".
Je länger etwas her ist, desto mehr bestimmen die Textsprecher der Fernsehokus das allgemeine Verständnis des Geschehenen für die "breite Masse" - sofern sie sich überhaupt dafür interessiert. Also hängt die offizielle Wahrheit eher vom persönlichen Geschichtsverständnis und Rechercheeifer derjenigen ab, die diese Texte schreiben - und ich möchte bezweifeln, dass jener bei all den Fernsehdoku-Produktionen immer grundsätzlich vorhanden und gewährleitet ist!

Man sollte es so sehen: Die Vergangenheit kann immer nur bestenfalls die halbe Wahrheit sein. Siehe Geschichtsverständnis Russlands: Viele trauern dort heute noch der Stalinära nach, weil sie gut indoktriniert und parolengläubig waren. Stalin erlaubte schlicht keine andere Meinung - also gab es sie auch nicht! Alle Soviets waren eine große glückliche Familie mit einem hehren Ziel - der Befreiung der Welt vom Imperialismus und Kapitalismus! Verbrechen oder Unrecht gab es einfach nicht für jene, die geistig schlicht und blauäugig der Volksdoktrin folgten. Sie glauben heute noch, die Millionen von Stalin Ermordeten wären erlogen - oder im Sinne eines "gesunden Volkskörpers" zurecht entsorgt worden! Wie blöd kann man eigentlich sein??? Oder liegt es daran, dass zeitnahe Geschichtsbücher eben immer nur von den Siegern diktiert werden? Die Deutschen konnten als Verlierer den Holocaust und all die anderen Kriegsverbrechen nicht wirklich leugnen (was einige Vollidioten nicht davon abhält, es bis heute zu tun!), die Soviets als Sieger aber konnten in ihren Schulbüchern nach ihrem "glorreichen Sieg" schalten und walten, wie sie wollten.
Da sieht man, wohin solche Phrasendrescherei und Volksverdummung führen: Zu unreflektiert Gläubigen, für die die Geschichte immer nur das sein wird, was sie selbst darin mitbekamen und über die Jahre zur Selbstbilderhaltung nachhaltig verklärten und romantisierten. (Nicht dass es derlei bei uns nicht auch gäbe - siehe alte Nazis usw...)

Gern gelesen!

LG, eKy
« Letzte Änderung: August 30, 2015, 16:30:02 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re: Korrekt?
« Antwort #2 am: August 30, 2015, 11:42:55 »
Lieber Erich,


mir ärgert lediglich, daß uns via
Political Correcteness
ein Maulkorb verpaßt wird, der eben  n i c h t  paßt.

Elefantenfußgruß
von
Cyparis


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Erich Kykal

Re: Korrekt?
« Antwort #3 am: August 30, 2015, 16:37:37 »
Hi, Cypi!

Das ist eben eine der Folgen fortschreitenden Alters: Plötzlich ist man von immer mehr jüngeren Typen umlagert, die alles über eine Zeit besser zu wissen glauben als wir, die wir sie einst live erlebt haben! ;)
Geschriebenes ist "offiziell", Geschriebenem wird geglaubt ...  ::)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re: Korrekt?
« Antwort #4 am: August 30, 2015, 17:44:59 »
Mich beschlich kurz der Verdacht, daß ich ebenso gewesen sein könnte.
Aber der Verdacht war unbegründet. ;D
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wolfmozart

Re: Korrekt?
« Antwort #5 am: September 05, 2015, 10:53:32 »
Hallo cyparis,

wenn man FARBIGER sagt, können auch Chinesen oder Indianer gemeint sein.

Am nahe liegendsten wäre es zu den Afrikanern SCHWARZHÄUTIGE zu sagen, aber das ist glaub ich auch schon unkorrekt.

Bei uns in Österreich ist die Bundeshymnen-Zeile HEIMAT BIST DU GROSSER SÖHNE auch unkorrekt - ob da nicht übertrieben wird sei dahin gestellt.

Lieben Gruß

wolfmozart