Autor Thema: Anjas Wut  (Gelesen 1284 mal)

gummibaum

Anjas Wut
« am: Juni 25, 2015, 23:24:21 »
Früh ward Anjas Trotz gebrochen,
ihr Betragen wie das Haar
glattgekämmt, und Lob gesprochen,
wenn sie wie erwachsen war.

Anja lernte leicht verzichten,
fügte sich in Arbeit ein,
war schon bald begabt, zu dichten
und ein reifes Kind zu sein.

Anja gleicht der Katakombe,
mondbeschienen, traurig, kühl,
doch im Grab tickt heiß die Bombe -
aufgestautes Wutgefühl...

Erich Kykal

Re: Anjas Wut
« Antwort #1 am: Juni 26, 2015, 14:10:26 »
Hi, Gum!

Je suis "Anja"! ;) ;D

Ach, mir erging es genauso! Als ich mit 3 oder 4 Jahren meinen ersten Trotzanfall bekam, packte mich meine Mutter, stellte mich mitsamt Kleidung in die Badewanne, hielt mir den Brausekopf über das gerötete Haupt und drehte seelenruhig das eiskalte Wasser auf!
Fürder wusste ich: Ihr Wille war stärker als meiner - ich brauchte gar nicht erst irgendwas zu versuchen.

Bis weit ins Volksschulalter hinein bekam ich Abreibungen mit dem Teppichklopfer, wenn ich was ausgefressen hatte. Für kleinere Vergehen langte die "g'sunde Watschn", wie man damals bei uns sagte.

Erst mit fortschreitender Pubertät, als mein Geist dem ihren überlegen wurde, lernte ich sie in meinem Sinne zu manipulieren.

Mein Vater hingegen - der alte SS-Nazi! - war butterweich, sanft und milde: Er verzieh mir eigentlich immer alles, und ich kleiner Arsch nutzte das weidlich aus! Ihn wickelte ich schon als Fünfjähriger nach Strich und Faden um den kleinen Finger!
Ein einziges Mal bekam ich von ihm eine Ohrfeige, mit 14 oder 15, als ich ein Kinderwagenfahrgestell gestohlen hatte, um ein Gokart zu bauen: Ich musste erst meine Chance auf Bildung und Karriere leichtfertig auf's Spiel setzen, damit er in Rage kam, denn damals zumindest hätte ich mit einer eingetragenen Vorstrafe gar nicht erst studieren dürfen! (Der Besitzer des Kinderwagens wusste das und hat meinen Vater mit einer potentiellen Anzeige erpresst - er musste ihm unter der Hand ein Mehrfaches des Werts des alten Gerümpels bezahlen, das ich auf einem verstaubten Scheunendachboden gefunden hatte!)

So war das damals - dein Gedicht hat mich sehr an diese Lebensphase erinnert. Auch ich musste lange meine innere Wut unterdrücken und kanalisieren lernen, ehe ich diese Altlasten endlich bewältigte! Wobei ich zugeben muss: ein Großteil dieses Zorn war nicht meiner Mutter geschuldet, sondern den jahrelangen Mobbingattacken einiger meiner lieben damaligen Mitschüler, die nichts ausließen, um mir ihre Verachtung und Ausgrenzung zu vermitteln: Ich war der Spinner, der Sonderling, der Klassendepp (Einzelkind mit sozialen Defiziten, zudem der Kleinste und Dickste in der Klasse, mit Brille, bravem Scheitel und in Seniorenmode gehüllt - vornehmlich Schnürlsamthosen und enge Stoffhemden in verschiedensten Brauntönen!).

Ein Päckchen, an dem ich lange zu tragen hatte ...  ::)

Gern gelesen (ich verzichte hier nur aus inhaltlichen Gründen auf das "sehr" ;))!

LG, eKy

Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Anjas Wut
« Antwort #2 am: Juni 26, 2015, 15:14:00 »
Hallo, Erich,

ein Wahnsinnskommentar! Wie sich das Gedicht hier lebensecht durch dich bebildert hat, lässt mich staunen. An der Wurzel eines guten Dichters liegt wohl immer das Leid.

Ganz liebe Grüße und ein dickes Danke.
gummibaum

 

Erich Kykal

Re: Anjas Wut
« Antwort #3 am: Juni 26, 2015, 19:45:05 »
Hi nochmal!

Um eins noch klarzustellen:

Meinen Vater mochte ich, aber es blieb immer eine Distanz zwischen uns, weil er seine Liebe nie richtig ausdrücken konnte.

Meine resolute und "handfeste" Mutter liebte ich abgöttisch und hätte alles für sie getan!

So sind Menschen wohl ...

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Anjas Wut
« Antwort #4 am: Juni 27, 2015, 15:12:04 »
Hallo Erich,

das verstehe ich sehr gut. Die Familie ist meist Himmel und Hölle zugleich und diese ursprüngliche Erfahrung steht wohl hinter der späteren religiösen Trennung in zwei Bereiche.

Dein Vater scheint mir gefühls- und antriebsmäßig gehemmt gewesen zu sein und schein-starke Partner wie SS oder deine Mutter gesucht und zur Lebensbewältigung gebraucht zu haben. Die Handelnden wie deine Mutter machen sich im ersten Moment zwar schuldiger als die Passiven, werden aber oft nicht gehasst sondern geliebt, weil sie prägender wirken.

LG gummibaum

cyparis

Re: Anjas Wut
« Antwort #5 am: Juni 28, 2015, 12:40:15 »
Lieber gummibaum,



es gibt so einige Anjas - auch die männlichen Exemplare, wie man sieht.
Zum Glück sind mir derlei Erfahrungen erspart geblieben.
(mir fehlt immer noch ein zu.... ;))


Lieben Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
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