Autor Thema: Wenn ich träume  (Gelesen 956 mal)

Erich Kykal

Wenn ich träume
« am: April 11, 2021, 11:57:58 »
Nur wenn ich träume, sehe ich es wieder,
der Kindheit helles, freundliches Gesicht:
Es lächelt seine Unschuld in mich nieder
in zärtlich mildem, unlöschbarem Licht,

will nächtlich meinem dunklen Leben scheinen,
erhellend, was den Weg ins Licht verlor,
und es erlösen, und die glücklich reinen
Erinnerungen heben mich empor

in ihren kindlich ungefügten Reigen
aus jener Kälte, die um Sünden weiß,
und alle alten Foltergeister schweigen,
und stille Tränen fließen lang und heiß.

Nur wenn ich träume, fühle ich sie wieder,
der Kindheit Liebe und Geborgenheit,
und meine Seele singt die alten Lieder
für Augenblicke in die Ewigkeit.
« Letzte Änderung: Mai 07, 2021, 13:35:30 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

AlteLyrikerin

Re: Wenn ich träume
« Antwort #1 am: April 12, 2021, 11:38:13 »
Hallo Erich,

schöne Verse über ein lyrisches Ich, das Schönheit und Lebensfreude in den Träumen über die Kindheit findet. Die Gegenwart ist offenbar erlösungsbedürftig in einem dunklen Leben. Die Psychologie würde darin wohl eine regressive Tendenz erkennen wollen, mich berühren die Verse und machen mich ein wenig traurig. Denn es sollte in keinem Leben so sein, dass glückliche Erfahrungen nur noch aus der Vergangenheit aufscheinen. Die Kunst des Lebens, so scheint mir, liegt darin aus jeder Stunde einen Funken Leben schlagen zu können. Allerdings, wer beherrscht diese Kunst überhaupt und dann auch noch in dunklen Stunden?
Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.

Sufnus

Re: Wenn ich träume
« Antwort #2 am: April 12, 2021, 14:56:02 »
Hi eKy!
Da schließe ich mich dem Lob von AL sehr gerne an - möchte aber nicht so viel Wehmut über ein im Vergangenen lebendes lyrisches Ich empfinden - zumindest so lange die Vergangenheit sich als tröstlich herausstellt und sich nicht destruktiv auf die Gegenwärtigkeit auswirkt (hier würde AL wohl einhaken, dass diese Gefahr aber doch sehr immanent ist). Bei mir überwiegt nach der Lektüre gleichwohl das Positive - die Zeilen enden mit einem Gefühl der Geborgenheit. :)
Einen kleinen Lesestolperer hatte ich nur bei "Es lächelt seine Unschuld in mich nieder" - war dieses "in" absichtlich gewählt, ggf. weil "auf mich nieder" zu offensichtlich war? Ich grübele noch, ob ich diese für mich etwas ungewöhnliche Formulierung nun gerade schön finde (weil sie etwas aus der Reihe tanzt) oder ob mir die konventionellere Variante nicht doch besser mundete... wenn ich wüsste, ob das "in" Absicht war, hülfe :) mir das schonmal weiter! :)
Sehr gerne gelesen!
S.
« Letzte Änderung: April 14, 2021, 11:04:42 von Sufnus »

Rocco

Re: Wenn ich träume
« Antwort #3 am: April 12, 2021, 16:00:18 »
Hallo Erich,

Erinnerungen und Träume sind ein Reigen. Das Stimmt. Und je nach Stimmung und Laune kann man sie in die Alltagsrealität retten.

Das lyr. Ich spricht von Sünden, nur bleibt unklar, was das für welche waren. Ich frage mich, ob man die erwähnen müsste? Oder ist es so gedacht, dass der Leser zur Identifikation eingeladen wird, die Wissenslücken mit eigenen Beispielen zu füllen? In meinem Fall könnte ich das nicht, da mir Sünden keinen Kälteschauer verursachen - im Gegenteil. Ganz im Gegenteil!

Einen schönen Tag

Rocco
"Erst in Rage werde ich grob -
aber gelte als der Hitzkopf?!"

Yusuf Ben Goldstein, aus Rocco Mondrians Komödie: Yusuf Ben Goldstein, ein aufrechter Deutscher

Erich Kykal

Re: Wenn ich träume
« Antwort #4 am: April 12, 2021, 17:32:05 »
Hi AL!

Sind wir nicht alle in irgendeiner Weise im Dunkeln und erlösungsbedürftig? Irgendein Teilaspekt des Charakters wurzelt doch immer im Trüben, oder?  >:D ;)


Hi Suf!

Ja, das "in" war bewusst gewählt, um den Rezipienten quasi mit einem Gefäß gleichzusetzen, und um anzudeuten, dass sich all das im Inneren der Person abspielt.

(In deinem Kommi in Z2 bitte "auswirkt" statt des dort falsch verwendeten "ausübt"  ;))


Hi Rocco!

Die Sünden sind ganz bewusst nicht näher beschrieben. So kann jeder Leser, der sich darin wiedererkennt, dort seine eigenen Augenblicke des Versagens einsetzen.



Vielen Dank für euer profundes Eingehen auf meine Verse!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Wenn ich träume
« Antwort #5 am: April 14, 2021, 11:06:01 »
Hi eKy!
Dankeschön für die Korrektur meiner Anmerkung - da wollte ein Satz partout anders enden, als er anfing. :)
LG!
S.

Erich Kykal

Re: Wenn ich träume
« Antwort #6 am: April 14, 2021, 21:30:05 »
Hi Suf!

Keine Sache, ist wohl schon jedem passiert. Angeregt wurde obiges Gedicht durch die Eingangszeilen des englischen Lieds "Only in sleep" (von mir gehört gesungen von Cai Thomas).

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Agneta

  • Gast
Re: Wenn ich träume
« Antwort #7 am: Mai 06, 2021, 21:01:04 »
Trost in dem zu finden, was war, ist auf jeden fall besser als gar kein Trost. Berührende Verse, lieber Erich. LG von Agneta

Erich Kykal

Re: Wenn ich träume
« Antwort #8 am: Mai 06, 2021, 22:55:06 »
Hi Agneta!

Vielen Dank!  :)

LG, eKy
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gummibaum

Re: Wenn ich träume
« Antwort #9 am: Mai 06, 2021, 23:23:26 »
Wunderbar, lieber Erich,

beschreibst du die Rückkehr der erlösenden Empfindungen der Kindheit im Traum.

Chapeau und Gruß von gummibaum


1. Vers: sehe ich es wieder


Erich Kykal

Re: Wenn ich träume
« Antwort #10 am: Mai 07, 2021, 13:38:53 »
Hi Gum!

Vielen Dank für Lob und Korrektur! - Ich hatte ursprünglich "Gesichter/Lichter" stehen, aber als die restlichen Strophen alle zu Kadenzenmuster wmwm geraten waren, änderte ich dies in S1 entsprechend, vergaß aber den Bezug in Z1. Schlampig.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
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