Für Ilse Aichinger

[gummibaum]

Kaum war mein Auge gebrochen,
schlug ich es wieder auf,
der Pfarrer hat Trost gesprochen,
die Krankheit nahm ihren Lauf.

Die Kinder brachten ins Heim mich,
die Frau starb, fehlte sehr,
ich ging in die Rente endlich,
die Arbeit fiel schon schwer.

Die Kinder verließen die Schule,
wir bauten uns ein Haus,
Wir polsterten eine Kuhle
für Annas tote Maus.

Und feierten rauschend Hochzeit,
verlobten uns alsbald
und heimlich kam ich zur Nachtzeit,
hab mich in dich verknallt.

Ich packte Ranzen und Tasche,
vier Kerzen, viele Leut,
ich nuckelte aus der Flasche
und wurd geboren heut.


(aus dem Fundus)

[Erich Kykal]

Hi, Gum!

Ilse Aichinger sagt mir nix - eine Literatin? Im Text wird ein Leben rückwärts gelebt. Das lässt auf einen Roman schließen.

Ich spiele mal ein wenig mit deinem Text. ZB. S1Z2 liest man automatisch betont an, da hakt's gleich einmal. Bei meiner Version gibt es keine Zweifel bezüglich der Betonung.

Mein Auge war gebrochen,
ich schlug es wieder auf,
der Pfaff hat Trost gesprochen,
die Krankheit nahm Verlauf.

Die Kinder brachten ins Heim mich,
die Frau starb, fehlte sehr,
ich ging in Rente endlich,
die Arbeit fiel schon schwer.

Die Kinder verließen die Schule,
wir bauten uns ein Haus,
Wir polsterten eine Kuhle
für Annas tote Maus.

Und feierten rauschend Hochzeit,
verlobten uns alsbald,
ich kam zur stillen Nachtzeit,
hab mich in dich verknallt.

Ich packte Sack und Tasche,
vier Kerzen, viele Leut,
ich nuckelte aus der Flasche
und ward geboren heut.

Die ersten Zeilen von S2,3,4 sind noch je um eine Silbe zu lang, auch wenn die Heberzahl stimmt. Da ist mir nix eingefallen so auf die Schnelle...

Gern gelesen - ein interessanter Ansatz!

LG, eKy

[gummibaum]

Lieber Erich,

vielen Dank für die metrische Überarbeitung. Ich stieß heute bei der Suche nach etwas anderem wieder auf das Gedicht. Habe es auf Metrik hin nicht nochmals angeschaut. Offenbar wechseln in meinem Versuch, die Idee (nicht den Inhalt) der "Spiegelgeschichte" (1952) dieser österreichischen Schriftstellerin im Gedicht wieder aufleben zu lassen, mehr oder weniger regelmäßig Daktylus und Jambus. Das unterstreicht den Eindruck, die Rolltreppe in der falschen Richtung zu laufen und immer wieder ein Stück zurück versetzt zu werden. So etwa verläuft die Erzählung eben auch. Vers V/1 soll die Einschulung bedeuten, daher hatte ich "Ranzen" geschrieben.

Einen schönen Abend!

LG gummibaum 

[Letreo71]

Lieber Gummibaum,

ich habe mich ein wenig erschrocken, als ich Dein Gedicht las, denn kurz davor,
hatte ich einen Bericht über Nahtoderlebnisse gelesen.
Dein Gedicht aber, finde ich von der Idee her sehr gelungen.

Lieben Gruß,
Letreo

[cyparis]

Lieber gummibaum,


ich kenne nicht allzuviel von Ilse Aichinger, in der Hauptsache Hörspiele und Kurzgeschichten.
Aber diese "Nacherzählung" ist ein interesantes Experiment!
Bei manchen Versen bin auch ich ins Stolpern gekommen.
Und die Inversionen sind bei Dir ungewöhnlich.


Herzlichen Gruß
von
Cyparis

[Curd Belesos]

moin moin gummibaum,

....aus dem Fundus....

auch wenn es aus deiner Jugendzeit oder Sturm und Drangzeit sein sollte, ist es ein bemerkenswertes Gedicht. Mir jedoch zu "zackig. Dem Gedanken sollte man nach meinem Gefühl mehr Raum geben, tragender nicht unbedingt, aber wortreicher.

LG
CB

[wolfmozart]

Ein gutes Gedicht, das so nicht einzuordnen ist.

Drum Lob weil mich alles Besondere fasziniert.

LG wolfmozart