Autor Thema: Gesang über den Wassern (Altes, neu aufpoliert)  (Gelesen 957 mal)

Fridolin

Gesang über den Wassern (Altes, neu aufpoliert)
« am: Oktober 25, 2014, 20:43:26 »
In mir ist Island: die Geysire fauchen,
die Adern blau wie Meer, das mich durchscheint.
Vulkane, die aus Schattenhöhlen rauchen,
bis ihre Asche aus den Himmeln weint.

Am Himmel gilben Wolken wie Zitronen,
von dumpfen Schlägen hallt die Sonnenuhr,
erzählt aus längst vergangenen Äonen,
was einst der grünen Insel widerfuhr:

Da brach die kalte Flut mit Urgewalten
aus fernen Welten wilde Rosen aus.
Das Licht der Sterne glänzt noch auf Basalten
und leitet mich auf meinem Weg nach Haus.

Nachdem ich mich aus Foren weitgehend zurückgezogen habe, ist es mir ein Anliegen, einige Gedichte, die ich vor Jahren noch unfertig zurückgelassen hatte, aus einer neuen Sicht aufzupolieren. Dieses Gedicht gehört dazu. Es kam mir in Erinnerung, als ich kürzlich an einem Vortrag über Island mit eindrucksvollen Bildern teilnahm.
« Letzte Änderung: Oktober 25, 2014, 21:22:00 von Fridolin »

Erich Kykal

Re:Gesang über den Wassern (Altes, neu aufpoliert)
« Antwort #1 am: Oktober 25, 2014, 21:08:05 »
Hi, Fridolin!

Starke Bilder, schöne Wortfindung! Vor allem die letzte Strophe ist erhaben! Großes Tennis, die "ausblühenden wilden Rosen" glühender Lava! Die Conclusio versöhnt den Menschen mit den Urgewalten - ein ermutigender, würdiger Abschluss!
Dieses Gedicht ist eine deiner lyrischen Großtaten!

Tipps:

S1Z3 - Schöner als deine Verkürzung: "Vulkane, die aus Schattenhöhlen rauchen,"

S3Z3 - "erzählt aus längst vergangenen Äonen, // was einst der grünen Insel widerfuhr:" So werden zwei getrennte Satzteile zu einer harmomischen Sinneinheit.

Am wenigsten zum beschworenen Bild passend erscheint mir S2.

Die Insel schluchzt, den Gletschern droht Verlandung,
es schmilzt der Permafrost und höhlt den Stein.
An Lavafelsen tost die Meeresbrandung
und schäumt mit Gischt sie zottelbärtig ein.

Worte wie Permafrost, Verlandung erinnern eher an eine Geographiestunde als an emotionale Lyrik, und "zottelbärtig", wiewohl ein schönes Wort, erscheint mir hier im vorliegenden Kontext zu niedlich, zu verharmlosend. Ich würde diese Str. umschreiben oder ganz streichen, um der Gesamtwirkung willen.

Allergernst gelesen und mich bezaubern lassen!

LG, eKy
« Letzte Änderung: Oktober 25, 2014, 22:16:53 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Fridolin

Re:Gesang über den Wassern (Altes, neu aufpoliert)
« Antwort #2 am: Oktober 25, 2014, 21:26:29 »
Hi Erich,

deine Anregungen habe ich umgesetzt und auch S2 gestrichen.
Danke dafür.

LG Fridolin


Curd Belesos

Re:Gesang über den Wassern (Altes, neu aufpoliert)
« Antwort #3 am: Oktober 28, 2014, 14:08:03 »
moin moin Fridolin,

dein Gedicht macht mich betroffen.

"Da brach die kalte Flut mit Urgewalten
aus fernen Welten wilde Rosen aus."


So schön die Beschreibung, so grausam die Realität.

Mit einem sehr nachdenklichen Gruß

Curd

Nur wenn du frei bist " IF " ....dann bist du ein Mensch

Fridolin

Re:Gesang über den Wassern (Altes, neu aufpoliert)
« Antwort #4 am: Oktober 29, 2014, 12:02:13 »
Hallo allerseits,

darf ich nochmal auf diese Strophe zurückkommen, die Erich wie eine Geographiestunde vorkamen:

Die Insel schluchzt, den Gletschern droht Verlandung,
es schmilzt der Permafrost und höhlt den Stein.
An Lavafelsen tost die Meeresbrandung
und schäumt mit Gischt sie zottelbärtig ein.

Dazu die Info eines Glaziologen, mit dem ich mich kürzlich speziell über Islands Gletscher unterhalten konnte. Er sagte mir, dass Islands Gletscher seit 1890 mehr als 300 Kubikkilometer Eis verloren haben. Er rechnet deshalb mit einer Zunahme der Vulkantätigkeit auf Island. Das wäre dann mehr als nur Schluchzen.

Curd, auch dir Dank fürs Lesen und Kommentieren.

LG Fridolin

Aspasia

  • Gast
Re:Gesang über den Wassern (Altes, neu aufpoliert)
« Antwort #5 am: Oktober 29, 2014, 12:16:21 »
Lieber Fridolin,

für mich ist das ein Gedicht der letzten Stunden. Ein Gedicht über das Altwerden, das vom Trab in den Galopp gewechselt hat, über Krankheit und über den bevorstehenden Tod. Düster und kalt.

Eisland eben.

Und die wärmenden Decken gehen aus.

Lieben Gruß
Aspasia

cyparis

Re:Gesang über den Wassern (Altes, neu aufpoliert)
« Antwort #6 am: November 04, 2014, 11:27:46 »
Ich sehe die Aschewolken vor und über  mir - die zur Realität geworden sind.


Ein düsteres, wortgewaltiges und Unheil ahnen lassendes Gedicht.
Paßt  zum heutigen düsteren Himmel..
Aber der Titel schmerzt mich mehr.


Tief beeindruckt:


Cyparis
mit Dank und Gruß!
« Letzte Änderung: November 04, 2014, 11:57:33 von cyparis »
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte