Autor Thema: Paradies  (Gelesen 1352 mal)

Paradies
« am: Juli 16, 2014, 21:37:34 »
Er kam herauf, den Weg allein
Und trat höchst leis' in ihren Raum
Fußspitzen, ach, verstohlen fast
Ein Aufwachwunder erst, ein Traum
Sein Wagnis sollt ganz heimlich sein

Doch räumt er schamlos Kleider, Treue
Die Zweifelberge von ihr fort
Erfasste sie mit beiden Händen
Legte sie an andren Ort
Wischte feucht hinfort die Reue

Sie ließ ihn ein und ihre Pforten
Öffneten sich schenkelweit
Verloren nun der Treueschwur
Wo einmal tiefe Lieblichkeit
Lässt sich nun Fehl und Trug verorten

Am Ende war der Traum verflogen
Im Schoß nur blieb ein Nachgeschmäckchen
Vom schaudersüßen Apfelbiss
Und hinterließ ein Reuepäckchen
Der Liebe, die sie grad verlogen[/QUOTE]

Erich Kykal

Re:Paradies
« Antwort #1 am: Juli 16, 2014, 22:00:03 »
Hi, Pö!

Gedichte sollten durchgehend entweder unbetonte oder betonte Zeilenauftakte haben. du wechselst leider mittendrin, das ruckelt und stört erheblich den lyrischen Fluss. Ich biete hier mal eine bereinigte Version an, auch mit normaler Zeichensetzung und ohne diese manirierte und oft Missverständnisse produzierende Vorn-alles-groß-schreibe-Manie:


Er kam herauf, den Weg allein
und trat höchst leis in ihren Raum. Apostroph hier bei "leis" nicht notwendig - beunruhigt nur unnötig das Schriftbild.
Auf spitzen Sohlen, fast verstohlen, Betonter Auftakt korrigiert.
ein Aufwachwunder erst, ein Traum.
Sein Wagnis sollt ganz heimlich sein. Runder, schöner: "Sein Wagnis sollte heimlich sein."

Doch räumt er schamlos Kleider, Treue,
die Zweifelberge von ihr fort,
erfasste sie mit beiden Händen,
verlegte sie an andern Ort Diese beiden Zeilen begannen betont. "Andern" list sich flüssiger, runder als "andren".
und wischte feucht hinfort die Reue.

Sie ließ ihn ein und ihre Pforten
eröffneten sich schenkelweit, Betonter Auftakt korrigiert.
verloren nun der Treueschwur.
Wo einmal tiefe Lieblichkeit, Alternative ohne fehlenden Satzteil: "War dereinst sie voll Lieblichkeit,"
sind Fehl und Trug nun zu verorten. Betonter oder zumindest indifferenter Auftakt korrigiert.

Am Ende war der Traum verflogen,
im Schoß nur blieb ein Nachgeschmäckchen
vom schaudersüßen Apfelbiss
und hinterließ ein Reuepäckchen
der Liebe, die sie grad verlogen. Sollte "verleugnet" heißen am Ende - "verlogen" ist so nicht richtig verwendet. Alternative: "der Liebe, die sie sich erlogen." oder: "der Liebe, die sie so verbogen."


Ein paar sehr gelungene Worte wie "Aufwachwunder" oder "Zweifelberge" haben mir sehr gefallen. Insgesamt ein sprachlich wohlelaboriertes und schönes Gedicht mit leichten metrischen Schwächen. Schade, dass die Mittelzeilen der Strophen ohne Reim bleiben. Bei solch einer Struktur könnte man zu strophenübergreifenden Reimen greifen und zB die Mittelzeilen von S1 und S2, sowie S3 und S4 miteinander reimen.
Sehr gern gelesen und bearbeitet.

LG, eKy
« Letzte Änderung: Juli 16, 2014, 22:07:12 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Paradies
« Antwort #2 am: Juli 17, 2014, 09:07:32 »
Liebe Pö,


ich kenne das Gedicht, hier darf ich kommentieren.
Mir gefällt es sehr gut, es weckt Bilder und sogar Düfte -
aber ist das wirklich ein Sündenfall, wenn eine Frau einen Seitensprung begeht?
War dann überhaupt eine Liebe da, die sie hätte verraten können?
Oder steht das Gedicht als Metapherr für etwas ganz Anderes?


Herzlichen Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Re:Paradies
« Antwort #3 am: August 10, 2014, 23:12:18 »
Lieber eky,

ich danke dir für deine Zeit. Mit einer so ausführlichen Auseinandersetzung hab ich hier nicht gerechnet.
Da hab ich grad einiges gelernt, das Reimen ist grad spannendes Neuland. An deine Tipps und Anregungen werde ich mich im Urlaub heranwagen- das lässt sich ja deutlich optimieren...

Danke dir für dein 'gern gelesen und gern bearbeitet'. Daraufhin hab ich mich gerade getraut, hier noch etwas einzustellen.
Liebgruß Pö

Liebe Cyparis,

auch dir ein Danke für deine Gedanken.
Ein Sündenfall ist es nur bei anderer Perspektive. Meine eigene ist hier nicht gemeint. Vielmehr beide Seiten sind dabei: Vorwurf und Verwerflichkeit, Verständnis, Nachempfinden und Mitscham, Abgrund und Nähe. Das Paradies war es vorher (nicht) vielleicht war etwas noch äußerlich unversehrt aber nicht gesund, vielleicht war es noch Liebe, vielleicht noch nie? Die Liebe zu Gott, der Treue zu Geboten... Der Reiz des Verbotenen, Langeweile, zu starke Kontrolle.
Eine Verbindung zum alten Testament durch den Titel aufzuzeigen soll eine Verbindung herstellen zu religiöser Härte, Fanatismus und geradezu schräger Sicht auf Untreue, die menschlich und für manchen " göttlich" sein kann.
Durch eine Sicht von außen, war diese Vogelperspektive auf Untreue möglich und hat mich Vielschichtigkeit beobachten lassen, die ich verarbeiten musste.
Ich hoffe, ich hab mich nicht zu wirr ausgedrückt- das Erklären fand ich grad schwierig... 😊
Ein lieber Gruß

Koollook

Re:Paradies
« Antwort #4 am: August 11, 2014, 07:00:16 »
Hallo Pö,

mir gefällt das Gedicht als Gesammtes. Im Einzelnen finde ich z.B. Pforte, öffnete sie schenkelweit einfach nur plump für die Beschreibung des weiblichen Geschlechtsorganes. Oder "Schaudersüßer Apfelbiss" -- das ist alles zu explizit. Wenn du Erotik erzeugen willst, dann musst du viel subtiler vorgehen.