Autor Thema: Tinnitus Sonett  (Gelesen 2278 mal)

Fridolin

Tinnitus Sonett
« am: August 17, 2013, 15:55:18 »
Ich höre Tag und Nacht den Blutstrom rauschen
als tosten um mich Niagarafälle.
Wie gerne würd ich Vogelstimmen lauschen,
dem sanften Plätschern einer frischen Quelle.

Das leise Murmeln jenes Baches hören,
der sich das Tal mäandernd abwärts schlängelt,
wo in der Brunft im Herbst die Hirsche röhren
und mich ein Lockenkopf zum Schober drängelt...

Längst wurden aus den Locken graue Haare.
Nie würde ich, um mehr zu hören, tauschen,
weshalb ich mir hier weitre Worte spare.
Soll doch mein Blut noch Ewigkeiten rauschen!

Ich werde weiter in die Locken greifen
und meinem Tinnitus im Ohr was pfeifen.
« Letzte Änderung: August 05, 2014, 12:43:31 von Fridolin »

cyparis

Re:Tinnitus Sonett
« Antwort #1 am: August 17, 2013, 16:26:15 »
Lieber Fridolin!


Wer Tinnitus kennt (meiner ist noch ganz leise), muß von Deinem Gedicht begeistert sein.
Die Verse drei - acht sind bezaubernd.
Umso hocherziger, daß die Locken "schwerer wiegen".
Welch eine noble Haltung!

Hab das soo gern gelesen!

Herzlichen Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re:Tinnitus Sonett
« Antwort #2 am: August 18, 2013, 00:32:29 »
Hi, Fridolin!

Ich hatte zum Glück noch nie ein wirklich lästig langen Tinni, nur früher kurz mal nach Silvesterknallerei oder zu lautem Heavy Metal!
Das dauerhaft ertragen zu müssen, wünsche ich nur wenigen auserlesenen Feinden an den Hals!
Falls nicht nur das LyrIch betroffen sein sollte: Gute Besserung - wenn möglich!

Sehr gern gelesen, weil lyrisch gut gelungen! Das Reimschema ABAB ist für die klassische Sonettform (ABBA) ungewöhnlich, aber das hier ist ja keine, da auch die Terzette fehlen. Ist das die "englische" Variante?

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Fridolin

Re:Tinnitus Sonett
« Antwort #3 am: August 18, 2013, 07:59:18 »
Hallo cyparis,

du kennst mein Werk ja schon, allerdings nicht als Sonett, denn ich habe die beiden letzten Zeilen erst jetzt als, wie ich finde, treffenden Schluss hinzugefügt.

Hallo eKy,
ja, das ist ein Sonett nach Shakespeare, es besteht aus drei Quartetten im Kreuzreim mit einer abschließenden Conclusio in zwei Zeilen im Paarreim.

Das Lyrische Ich ist hier mit dem Verfasser identisch. Ich habe seit 25 Jahren meinen Tinnitus. Am 30. August habe ich Silbernes Tinnitus-Jubiläum, am 7. September feiere ich mit meiner Lockenträgerin goldene Hochzeit, und zwar im Rahmen unserer (goldenen) Hochzeitsreise nach Dresden in der Semperoper, passenderweise bei einer Aufführung der Oper "Die Hochzeit des Figaro" von Mozart in italienischer Sprache. Ich habe mir ein Textbuch der italienischen Fassung bestellt, ich kenne die Oper nur in deutscher Sprache, habe unvergessliche Erinnerungen daran aus meiner Zeit beim Staatstheater in Stuttgart, wo ich zwei Jahre in der Verwaltung tätig war.

Mein Tinnitus ist wirklich übel, Besserung gibt es da nicht, ich nehme ihn bei aller Belastung mit Humor:

Mein Tinnitus macht Ohrenpein,
er dringt in alle Poren ein.
Er hat sich bei mir eingebohrt,
als wäre selbst mein Bein geohrt.

LG Fridolin

Erich Kykal

Re:Tinnitus Sonett
« Antwort #4 am: August 18, 2013, 11:35:49 »
Ach, was sollen Wünsche frommen,
wenn sie niemals dort ankommen,
wohin sie die Wünscher sandten:
Freunden oder Anverwandten,
die sich schwer in ihren Tagen
mit Gebrechen schmerzlich plagen!

Wünsche dennoch dir das Beste -
nicht nur zu dem goldnen Feste,
(Ich darf herzlich gratulieren!)
will ich hier ein Wort verlieren,
auch zum feinen Hörgenusse
deiner Oper ganz zum Schlusse

sei dir Segen, und der Deinen!
Möget ihr vor Freude weinen!
« Letzte Änderung: August 18, 2013, 18:16:09 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Daisy

Re:Tinnitus Sonett
« Antwort #5 am: August 18, 2013, 15:49:24 »
Lieber Fridolin,

zum bevorstehenden 50er Jubiläum meinen herzlichen Glückwunsch!

Deine Belastung durch den üblen Tinnitus bedaure ich zutiefst, das Gedicht jedoch ist ganz zauberhaft.
Hiermit beweist du einmal mehr, dass du ein wahrer Meister-Schüttler bist!  :)

Sehr gern gelesen!

LG Daisy

Fridolin

Re:Tinnitus Sonett
« Antwort #6 am: August 21, 2013, 14:32:18 »
Hi eKy,

vielen Dank für deine guten, gereimten Wünsche.

Liebe Daisy,

auch dir herzlichen Dank, mein Gedicht ist aber kein Schüttelgedicht.

LG Fridolin

Daisy

Re:Tinnitus Sonett
« Antwort #7 am: August 21, 2013, 19:34:37 »
Ich war leider unaufmerksam, lieber Fridolin,

dieses schöne Sonett ist natürlich nicht geschüttelt, ich hatte beim Kommentieren noch die geschüttelten Gedichte im Hinterkopf.

Aber der Titel "Meister-Schüttler" hat auf jeden Fall Gültigkeit!  :)

LG Daisy

gummibaum

Re:Tinnitus Sonett
« Antwort #8 am: August 05, 2014, 09:41:17 »
Lieber Fridolin,

ich habe, wie ich merke, das Gedicht schon einmal früher gelesen, aber, aus welchen Gründen auch immer, nicht kommentiert. Wahrscheinlich hatte ich gerade keine Zeit, ich lese manches während der Arbeit, also in kurzen, unruhigen Pausen in der Schule.
Dein Gedicht ist wirklich großartig! Hier wird in der liebevollen Gestaltung der angenehmen Geräusche erst klar, was das Getöse des Niagara-Falls auslöscht. Toll dann die Überleitung zur Entmachtung des Aggressors durch ein Bewahren schöner Erinnerungen.

Sehr gern gelesen
LG gummibaum

Re:Tinnitus Sonett
« Antwort #9 am: August 10, 2014, 22:17:46 »
Lieber Fridolin,

das Thema hat mich vor ein paar Jahren auch mal so sehr beschäftigt, dass ein Text daraus entstand.
Deinen Text mag ich sehr, das Pfeifen auf's Pfeifen gefällt mir und ist die einzige Möglichkeit  damit umzugehen.
Leise klingende Pfeifgrüße
einer gleichgesinnten Pö