Autor Thema: Realitätssinn  (Gelesen 741 mal)

Erich Kykal

Realitätssinn
« am: Februar 10, 2014, 20:45:35 »
Ein Kind schickt seinen Jubelgeist auf Reisen,
so leicht, als wär's im Irgendwo zuhause.
Vernunft und Wirklichkeit, sie haben Pause,
will sich der Mut vor Traumgefahr beweisen.

Geschichten weiß die Seele sich zu schaffen,
so ungeheuerlich und sonder Schranken.
Die Sinne, die von solchen Welten tranken,
verzagen nicht vor eines Bösen Waffen.

So sagt man gern, indes, die rohe Wahrheit
sieht angesichts des Todes anders aus:
Steht er vor Augen uns in aller Klarheit,

so mag es sein, dass wir die Stirnen senken
vor Unrechts allzu heftigem Gebraus,
und uns den Sieg darüber - lieber denken.
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Realitätssinn
« Antwort #1 am: Februar 13, 2014, 20:23:53 »
Lieber Erich -

läßt sich denn dieser Sieg überhaupt irgendwie denken oder erträumen?
Ich meine eher, daß man der Realität ins Auge sieht und auch akzeptiert -
immer mit einem Fünkchen Hoffnung "noch nicht".

Die zweite Sonettstrophe gefällt mir besonders gut -
ich kann an ihrer Hand in meine Erinnerungen wandern.


Ganz herzlichen Nachtgruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re:Realitätssinn
« Antwort #2 am: Februar 13, 2014, 21:30:20 »
Hi, Cypi!

Oh, ich meinte das ziemlich direkt. Wer je mit Schmerz oder gar Tod bedroht wurde im Angesicht einer Übermacht geballter Fäuste und selbstgefällig grinsender Visagen, versteht es. Solche Demütigungen vergisst man nicht. Dennoch ist Schweigen, auch wenn man im Recht ist oder eine gute Sache vertritt, in solchen Fällen das Mittel der Wahl, sofern der Überlebenswille noch nicht ganz erloschen ist - oder man tatsächlich ein Karatemeister des 10. Dan ist, was auf den Großteil der solcherart Bedrohten leider nicht zutrifft. Ich weiß, wovon ich spreche.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Realitätssinn
« Antwort #3 am: Februar 14, 2014, 09:32:39 »
Oh, Erich -

ich hatte ganz anders interpretiert!
Ich hatte ein sog. Todesurteil (Krebs, Leukämie, o.ä.) vor Augen.
Nach Deiner Erläuterung ist es glasklar!

Lieben Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Daisy

Re:Realitätssinn
« Antwort #4 am: Februar 14, 2014, 16:45:19 »
Hallo Erich,

wow! Ein ungemein packendes Thema, ein tolles Sonett, das betroffen macht!
In eine solche Situation kann ich mich sofort hineinversetzen und die Reaktion total verstehen. Klasse!

Sehr gern gelesen!

LG Daisy

Erich Kykal

Re:Realitätssinn
« Antwort #5 am: Februar 14, 2014, 20:51:40 »
Hi, Cypi!

Keine Sache! Meine Sprache ist - des lyrischen Moments zuliebe - zuweilen etwas indiffernt und mehrdeutig auslegbar. Dessen eingedenk bin ich der letzte, der ob einer anderen Sichtweise auf meine Verse verstimmt sein darf! Der Bezug des Autors ist m.E. ohnehin nicht das Wesentliche an einer Dichtung. Wiewohl diese sein originäres Werk sein mag, gehört sie nach Veröffentlichung doch auch dem Leser, der sie nach seinen eigenen Lebensparametern gewichten darf und soll.

Hi, Daisy!

Jeder hat in seinem Leben wohl irgendwann solche Momente der Hilflosigkeit erleben müssen, meist in der Kindheit, wenn Konflikte und diesbezüglich involvierte negative Charaktereigenschaften noch sehr direkt ausgelebt werden. Manchmal aber auch später im Leben, unterdrückt von diktatorischen politischen Systemen und deren Protagonisten, die dann all ihre kleinbürgerliche Gehässigkeit an den geknebelten und entrechteten Opfern austoben können, siehe Nazistaat oder DDR.
Ich habe dies sowohl als Kind erlebt, wenn der herrische Sieger einer Rauferei auf mir saß und mir genüsslich die Spucke ins Gesicht tropfen ließ, aber auch später, in der Bikerszene, wenn gewisse Leute im Schutz ihrer Position (wie beispielsweise der Befehlgewalt über viele Fäuste) jedwede Kritik und Meinungsfreiheit mit Gewaltandrohung und Gewaltausübung zu unterdrücken versuchten.
Wie sich die sog. "rassisch Minderen" zur Zeit des dritten Reiches gefühlt haben mögen, kann ich dennoch nur am Rande abschätzen - und solche Art von Entmenschlichung nur zutiefst verachten!

LG, eKy
« Letzte Änderung: Februar 03, 2021, 10:43:58 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.