Hi, Daisy!
In Antwort #2 hab ich meine Intention ja schon dargelegt.
Betreff Melodie: Viele Dichter vernachlässigen das: Sie sind auf ihre inhaltliche Intention fixiert und wie sie diesen Inhalt klarestmöglich rüberbringen, dafür opfern sie dann oft den flüssigen Duktus und die Sprachmelodie. Sperrige Begriffe, schrille Vokale, Konsonantenauffahrunfälle, Zischlaute, Betonungen, die dem Rhythmus der Zeile zuwiderlaufen oder ganz einfach Worte, die in besagte Melodie nicht passen...es gibt viele Möglichkeiten, ein gutes Gedicht zu killen!
Für mich ist es wie für Rilke: Zuerst der Klang, der Fluss, die Harmonie der Sprache - erst dann Inhalt und Aussage! Rilke verstand es natürlich, beides optimalst zu vereinen - ich halte es eher so, dass ich auch schon mal mitten im Gedicht woanders hin abbiege, wenn es bestimmte klangerhaltende Wörter so diktieren. Ich ordne beim Dichten immer den Inhalt der möglichst optimierten Form unter. Manche mögen das bekritteln, vor allem sozial motivierte Gutmenschen, für die Lyrik immer eine soziale Aussage beinhalten muss, über die man sich gefällist und bitteschön schon vorher Gedanken gemacht haben muss, denn sonst wäre man als Lyriker ja nicht authentisch, sondern beliebig.
Dazu sage ich: Ich bin eben so, wie ich bin und tue, was mir als Wichtigstes in Sachen Dichtkunst erscheint. Wird es ein Stück Sozialkritik, weil es sich so ergeben hat - gut. Wird es etwas anderes - auch gut. Das durchgängig lyrische Klangbild des einzelnen Gedichts ist wichtiger als der Gedanke, den man jetzt - und ausgerechnet jetzt - unbedingt zu Papier bringen muss. Denn wer fragt Jahrzehnte später noch nach Zeit und Ort? Überleben wird, was in Klangbild und Fluss die größte Harmonie aufweist - zumindest bei lyrischen Texten. Auf welche realen Begebenheiten, zeitnah oder nicht, man diese Zeilen dann bezieht, wird - je nach Zitierenden - ganz unterschiedlich sein...und sein dürfen!
Das soll nicht heißen, dass der Inhalt unwichtig ist - im Gegenteil. Aber es muss beim Schreiben eben nicht unbedingt DIESER Inhalt zu exakt JENER Gelegenheit sein! Gib dich deiner inneren Stimme hin und lass dich von ihr tragen - wo auch immer hin! So kann ein Naturgedicht zu einem sozialen Gleichnis werden - oder umgekehrt! Eine Komödie kann in ein Drama umschlagen und ein tragischer Text sich plötzlich in Slapstick lösen - wichtig ist nur, dass das Klangbild aus einem Guss ist, dass Melodie drinsteckt von der ersten bis zur letzten Zeile. Denn nichts ist tödlicher für den wahren Freund des fließenden Wortes als auch nur eine einzige sprachliche Holperstelle! Der hypnotisch fesselnde Effekt des fluiden Duktus geht so einfach verloren: Man wird aus dem Flux gekickt und strandet knirschend auf dieser verbalen oder rhythmischen Untiefe!
Weniger empfindsamen Gemütern mag das nichts ausmachen, aber ich leide jedesmal geradezu körperlich, wenn etwas nicht stimmig (genug) erscheint.
LG, eKy