Autor Thema: Zölibat  (Gelesen 2296 mal)

Erich Kykal

Zölibat
« am: August 19, 2015, 11:54:01 »
Man sagt so leicht, Begehren sei vergänglich,
und meint: nach jemand ganz Bestimmtem bloß.
Die Liebe kommt und geht, jedoch der Schoß
bleibt immerzu der nackten Lust empfänglich.

Man hat sich christlich, hat sich treu erzogen,
verdammt die Brandung seiner eignen Gier
als böse, schändlich, ähnlich einem Tier,
sich lüstern räkelnd in den warmen Wogen.

Wie tief hat solcher Glaube dich belogen,
dass man dem Körper keinen Reiz erlaube
und dem Natürlichen die Freude raube!

Versagst du dir die Süße jeder Traube,
verwehst du kalt und trocken mit dem Staube
der Zärtlichkeit, verbittert und betrogen.
« Letzte Änderung: Oktober 25, 2017, 16:45:27 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Zölibat
« Antwort #1 am: August 19, 2015, 23:00:51 »
Hallo Erich,

ich glaube auch nicht, dass der Verzicht den besseren Menschen hervorbringt.  "Verbittert und betrogen", wie du schreibst, stelle ich das Resultat auch eher vor.

Sehr gern gelesen.

LG gummibaum

Jonny

Re: Zölibat
« Antwort #2 am: August 20, 2015, 20:23:05 »
Eine sehr treffende Art die Dinge beim Namen zu nennen, Erich.
In sehr schöne Verse verpackt.
Mir gefällt der Inhalt ebenso, wie die gelungenen Wortspiele.

Liebe Grüße
Jonny

Aspasia

  • Gast
Re: Zölibat
« Antwort #3 am: August 20, 2015, 21:44:22 »
Man hat sich christlich, hat sich treu erzogen,
verdammt die Brandung seiner eignen Gier
als böse, schändlich, ähnlich einem Tier
sich lüstern räkelnd in den warmen Wogen.

Damit komme ich nicht klar. Christlich ist an dieser Erziehung nichts, und Christus hat an so etwas wie den Zölibat nicht entfernt gedacht. Er ist allein eine Auflage der katholischen Kirche.

Der Vers hätte das anders ausdrücken können:

"Die Geistlichkeit hat uns zum "Christ" erzogen,
verdammt die Brandung unsrer eignen Gier ..."

oder so ähnlich. Dann kämen Zwang und Opferrolle deutlicher raus. Selbst erzogen hat sich wohl kaum jemand gegen seine Natur.

Aber insgesamt gesehen: Es ist ein heißes Thema, sehr gut umgesetzt, aber trotzdem nicht frei von Konflikt, der leider zu wenig hochbrodelt, sondern immer nur weiter vor sich hinköchelt.

Lieben Gruß
Aspasia
« Letzte Änderung: August 20, 2015, 21:55:29 von Aspasia »

a.c.larin

Re: Zölibat
« Antwort #4 am: August 24, 2015, 11:30:09 »
hi erich,

liebe und begehren ist ja gewiss nicht ein und dasselbe - es fällt nur möglicherweise ab und zu mal zusammen.

dass sexualität in der katholischen kirche als minderwertig  und tierisch abgetan wird,  ist ein echter jammer - und abgesehen davon unlogisch und inkonsequent, denn wenn mans genau nimmt, ist alles, was mit dem körper zusammenhängt (atmung, verdauung, bewegung) "tierischer" natur: ohne atmung sind wir tot, ohne ernährung / verdauung auch, muskeln und gelenk müssen sogar genützt werden, damit sie nicht verkümmern und in ihrer funktion erhalten bleiben, motto:  use it - or loose it!
da könnte man jemandem auch das gehen oder atmen verbieten, weil es "tierisch" ist!
dann wird wohl, vom standpunkt der natur aus betrachtet, das sexuelle system auch den sinn haben, dass man es benützt.
mäßig, aber regelmäßig, so wie alles andere auch.
da die lust aber spaß machen kann, kann es auch gier erzeugen.
oh, wie ist doch unser gehirn endorphinverliebt!

den mächtigen macht allerdings die sexualität angst - denn sexualität lässt sich nicht so steuern, dass sie in gewisse, gesellschaftlich gegebene normen passt. sexualität kann einen auch persönlich erschrecken, wegen ihrer erruptiven dringlichkeit - und weil wir durch sie
unsere soziale kompentenz / nicht- kompetenz und / oder unseren schönheitsbedingten marktwert beinhart erfahren.
und wer - es sei denn , er hielte sich für den superhelden, der nicht scheitern kann - will das schon immer so genau wissen?

noch dazu hängen an der sexualität noch zwei weitere schwierige pferdefüße: die fortpflanzung ( und alle durch sie bedingten kosten und komplikationen) und der weit noch kompliziertere bereich namens "liebe" ( sprich: bewusste oder unbewusste erwartungen, die man an den sexuellen vollzug knüpft). man kommt sich halt beim sex ziemlich nahe - und es ist schon ein schräges ding, jemandem körperlich nahe zu sein, dem man seelisch vielleicht gar nicht nahe steht. andererseits heißt seelische nähe noch lange nicht, dass auch die körperliche nähe gelingt. uff! was für ein dschungel!

wers da noch schafft, immerzu heiter und unbeschwert an die sache ranzukommen, ist ein genie!

im gegenzug dazu geht das verteufeln der sache geradezu spielend:
da, wo schon ängste sind, noch ein paar neue dazuzuschmieden, ist ziemlich simpel!

also wars vielleicht nur ein logischer ( trug-) schluss der katholischen kirche, die würdenträger ihrer reihen ( offiziell) gar nicht in diese
komplizierte sache reinzulassen? dann kann man sich wenigstens damit auch nicht anpatzen.( dachten sie!)
und die inoffiziellen patzer versucht man halt zu vertuschen, so gut es geht......

aber, wie du es ja ganz richtig schreibst: wie soll das leben sich mit leben füllen, wenn man dem aus dem wege geht?
wer auf dem olymp der unberührbarkeit verharrt, der hat ja überhaupt keine ahnung!
es nützt alles nichts: die eigentliche menschwerdung und der beginn des verstehens beginnt mit dem herabsteigen von diesem (selbstgewählten) olymp.
interessanterweise gibt es im christentum sogar das bild von einem gott, der herabsteigt, um mensch zu werden -
also irgendwie hätten es die menschen ja dann doch gerne so, aber dann auch wiederum nicht....
es kostet nämlich was, mensch zu werden.
es kostet was, angreifbar und berührbar zu sein.
es kann, wie die geschichte erzählt , sogar einen gott umbringen.
schöner schaden! und trotzdem heißt es : fürchtet euch nicht!

das ist zumindest gut beobachtet, denn:
wir haben angst vor unserer menschwerdung.
wir haben angst vor unseren gefühlen, in den meisten fällen.
weil sie so unberechenbar sind.
weil sie auf widerstand stoßen können.
weil sie verletzbar machen.
weil sie uns ein persönliches engagement abverlangen.
weil wir uns, wenn wir uns zu unserer persönlichen wahrheit bekennen, nirgendwo mehr verstecken können.
weil wir dann wirklich voll und ganz verantwortung übernehmen müssen, und zwar für uns selbst!
und das müssen wir lernen, jeder einzelne, ein ganzes leben lang!
das macht eine menge arbeit.

es war in vergangenen zeiten vielleicht auch noch nie wirklich möglich, dem genügend raum zu geben.
wie, wenn man ums nackte überleben kämpft, soll man auch noch gefühle hinterfragen?
woher, wenn man so hart arbeiten muss, dass man abends nur noch erschöpft umfällt, sollte noch kraft kommen, zu reflektieren?
und auf welche weise, wenn nicht durch bildung, bildung und noch mal bildung, soll dieser prozess der selbsterkenntnis in gang kommen?
und wenn man weiß, wie große teile der weltbevölkerung noch immer keinen oder kaum zugang zur bildung haben - wie sollte sich dran was ändern?

aber es kann jeder bei sich selbst beginnen, nach dem motto:
lose your mind - and come to yout senses!

wie auch immer: das leben ist kein schachbrett - und zwischen schwarz und weiß gibts noch jede menge farbtöne!
und jeder von uns kann wählen, zumindest in dem ihm eigenen spektrum an möglichkeiten!


lg, larin
« Letzte Änderung: August 24, 2015, 11:35:54 von a.c.larin »

cyparis

Re: Zölibat
« Antwort #5 am: August 30, 2015, 17:51:52 »
Lieber Erich,


man mag es drehn und wenden wie man will:
Der Zölibat ist wider die Natur und gebärt schlimmste Auswüchse.

Ein tolles Gedicht, dem ich nicht unterstelle, daß es zwischen christlich und klerikal große Unterschiede macht.
Der Zölibat wird nun einmal vom christlich-katholischen Klerus (ab)verlangt.
Stehenlassen!
So!


Ohne Knicks:
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re: Zölibat
« Antwort #6 am: August 30, 2015, 19:54:29 »
Hi, ihr Guten!

Vielen Dank für die rege Anteilnahme an meinen unbescheidenen Zeilen! ;)

Gum, Jonny, Cypi - habt Dank für euer Beipflichten und das Lob!

Aspasia - "Christlich" nennen Gläubige das, was sie darunter verstehen! Für die Inquisitoren war das Verbrennen von Hexen ein höchst christlicher Akt der Erlösung vom Bösen!
Deine Definition von "christlich" unterscheidet sich von rigideren oder schlicht dümmeren Auslegungen, aber bitte erkenne, dass Religion nun mal nichts mit Folgerichtigkeit und Logik zu tun hat!
Demgemäß ist es kein Fehler von mir, ein Negativbeispiel mit der Bezeichnung "christliche Erziehung" anzuführen, weil es aus Sicht der so Erziehenden eben eine christliche Tat ist, da ihr "Christentum" eben intolerant, oberflächlich, bibeltreu und körperfeindlich ist, wobei sie selbst das natürlich nie so sehen würden! ::)
Cypi sieht es übrigens ganz richtig: Ich betrachte die Materie hier eher aus intern klerikaler Sicht.

Larin - dein ausführlicher Kommi sagt als Quintessenz aus: Hebt den Glauben aus dem Düster der Vergangenheit, des Kadavergehorsams und der stumpfsinnigen wortwörtlichen Bibeltreue zu einem lebendigen, menschenliebenden, toleranten, positiven Miteinander!
Fein, fein - dazu nur dies: Ein schöner Gedanke! Aber wenn ich es schaffe, so mit allen zu leben, wozu brauche ich dann noch einen Glauben, der mir den Weg weisen soll? ;) ;D

Religion ist ein Mittel der Macht zum gesellschaftlichen und kulturellen Zusammenhalt, gleichzeitig ein romantischer Trost für die geistig Schwachen, eine Mahnung an die moralisch Schwachen - und ansonsten nur ein Grund zum Schmunzeln oder Kopfschütteln für gebildete und selbstbewusste Mündige. Dabei meine ich nicht die ethischen Regeln des Zusammenlebens, die jede Religion gern für sich vereinnahmt, sondern das durch die Bank naturwissenschaftlich widerlegte abstruse Weltkonstrukt der meisten Glaubensrichtungen, die oftmalige platte polarisierende Schwarzweißmalerei (Gut und Böse, Himmel und Hölle, Gläubiger und Heide, oben und unten, ...) und die unbewiesene und unbeweisbare Behauptung von Gegebenheiten jenseits des Erfassbaren, die im Brustton einer Überzeugung in die Welt gehustet werden, als wären diese "Erleuchteten" alle persönlich da gewesen und zurückgekommen, um der Menschheit das Heil zu verkünden!
Komisch, dass es so viele verschiedene Heile sind - wenn man annimmt, dass es wirklich einen Gott gibt, müssen demnach ALLE Verkünder bis auf einen manipulativ lügen oder rettungslos wahnsinnig sein, oder? ;) Kein Ruhmesblatt für die menschliche Vernunft ...
Nein, mich bekehrt keiner! >:D


LG, eKy
« Letzte Änderung: Juli 13, 2022, 11:32:04 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

charis

  • Gast
Re: Zölibat
« Antwort #7 am: September 05, 2015, 21:00:12 »
Lieber Eky,
Dieses Thema verdient bestimmt keine so schönen Verse und wäre mir jedenfalls  kein Gedicht wert, aber es ist sehr treffend.

Auch bei den Buddhis gibt es das Zölibat, was ich noch weniger verstehen kann.

Was mir nicht so gefällt, ist das "man" in S2 und 4. 

Liebe Gruß und ich hoffe du bist schon halbwegs gesundet, körperlich wie seelisch!
Gute Besserung!

charis



Erich Kykal

Re: Zölibat
« Antwort #8 am: April 17, 2021, 10:51:17 »
Das Zölibat fusst auf der Vorstellung, dass Enthaltung "reiner" sei, unschuldig wie Kinder sozusagen, was bei Klostermönchen der Leitgedanke war. Auch sollte der Seelenberater für die Gemeinde, der Geistliche also, über den Niederungen zwischenmenschlicher Verscherungen stehen, unangreifbar sein durch jegliche Unterstellung ebenso "niederer" Triebe, wie sie "normale" Menschen pflegen.
Zuletzt für ebendiesen Nimbus des Übermenschlichen, den der scheinbar völlige Verzicht auf Sexualität verleiht: Eiserne Willens- und Charakterstärke! Dass das nie so recht funktioniert hat, können unzählige Chorknaben, Internatsschüler, Ministranten und ungewollt schwangere Haushälterinnen oder Pfarrersköchinnen bestätigen, oder Väter, deren Kinder dem Priester verdächtig ähnlicher sahen als ihnen selbst ...  ::) :o

Insgesamt betrachtet zieht sich dieses Unding durch die Geschichte sämtlicher Religionen, von antiker Priesterschaft über die römischen Vestalinnen bis zur christlichen Nonne als "Braut Christi". Reinheit und Unschuld durch Verleugnung und Verzicht eines wesentlichen Teils der ureigenen Natur. Für manche vielleicht erträglicher, weil unkomplizierter, aber für die meisten, denke ich mal, eine lebenslange Herausforderung mit oft ungutem Ausgang.
Wieviele reuige "Sünder" haben sich wohl seit dem Mittelalter im Namen ihres "Erlösers" eigenhändig den Rücken zerpeitscht oder schnallten sich freiwillig Folterinstrumente ums "lüsterne Fleisch", um ihrer Triebe Herr zu werden? Was für eine Perversion!

LG, eKy
« Letzte Änderung: Juli 13, 2022, 11:34:13 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.