Autor Thema: Vermächtnis eines Mächtigen  (Gelesen 733 mal)

Erich Kykal

Vermächtnis eines Mächtigen
« am: Januar 22, 2022, 12:02:44 »
Ich fühle meine Stunde nahen,
den letzten Schlag, der mich besiegt,
da ob der Dinge, die geschahen,
das Urteil nicht mehr mir obliegt.

Was jetzt noch rasch zu regeln wäre,
eh meine letzte Glut erkaltet,
ist, wie ich euch die Welt erkläre,
und wer am besten sie verwaltet.

Was weiter noch zu regeln stünde,
ist meine Hinterlassenschaft,
das Erbe meiner kalten Sünde,
die Früchte meiner Lebenskraft.

Was nun zuletzt zu regeln bliebe,
da noch verpackt und nie verwendet,
ist eine Möglichkeit zur Liebe,
bevor mein Leben lieblos endet.
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Vermächtnis eines Mächtigen
« Antwort #1 am: Januar 23, 2022, 18:12:34 »
Lieber Erich,

solche Sorge um den posthumen Fortbestand ihres Wirkens und um ihr geistige Erbe passt gut zu den Mächtigen, die unsterblich sein wollen. Für die  Liebe, die das LI nie ausgepackt und verwendet hat, wird es wohl wünschen, dass sie (da sie Machtstrukturen auflöst) weiterhin unter Verschluss gehalten wird.

Sehr gern gelesen.
Grüße von gummibaum

« Letzte Änderung: Januar 24, 2022, 07:12:06 von gummibaum »

Erich Kykal

Re: Vermächtnis eines Mächtigen
« Antwort #2 am: Januar 23, 2022, 22:49:23 »
Hi Gum!

Ich dachte dabei u.a. zB an Hitler, als er in den letzten Tagen um Bunker sein Testament und sein politisches Vermächtnis diktierte, so als rechnete er fest damit, dass die Geschichte ihn letztlich als "Großen und Gerechten" erkennen würde - kein Hindenken daran, dass man ihn als Verbrecher sehen könnte!

Dieser aus Hybris geborene Realitätsverlust in punkto der Wichtigkeit des eigenen IUniversums findet sich bei vielen narzisstischen Machtmenschen, egel, ob in Religion, Politik, Wissenschaft, Kultur, Militär usw...
Sie alle glauben, die Welt wäre ganz wild auf ihre Memoiren, ihre Manifeste, ihre Pseudobibeln! Und leider ist die Welt immer noch voller Dummköpfe, die glauben, wer sich für wichtig hielt, muss auch wirklich wichtig gewesen sein!  ::)
Viele setzen den Grad der Bekanntheit einer Person direkt mit dem ihnen zugetrauten Maß an Weisheit und Wahrheitsliebe in Relation.
Oder sie denken, dass einer, der sich - egal wie - an der Macht halten konnte, mit allem, was er darüber oder über irgend sonstwas dachte, allein schon deshalb richtig gelegen haben muss ...

Vielen Dank für dein Eintauchen in dieses Werk!  :)

LG, eKy
« Letzte Änderung: Januar 24, 2022, 17:50:46 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Vermächtnis eines Mächtigen
« Antwort #3 am: Januar 24, 2022, 07:20:45 »
Interessant, deine Information über Hitlers eitles Testament. Hab Dank, Erich.
Ich habe gerade durch Sufnus Hinweis auf die Moabiter Sonette diese gelesen und ein bisschen über den Autor Haushofer: Schöne Gedichte eines sensiblen Menschen mit zeitweisem Doppelleben in einer verblendeten und gnadenlosen Zeit!

LG g



 
« Letzte Änderung: Januar 24, 2022, 07:29:17 von gummibaum »

Sufnus

Re: Vermächtnis eines Mächtigen
« Antwort #4 am: Januar 25, 2022, 14:52:44 »
Lieber gum!
Das freut mich aber sehr, dass ich Dich zu einer Lektüre anregen konnte und diese offenbar von Dir nicht als vergeudete Zeit empfunden wurde. Ich denke Haushofers Sonette gehören mit zu den jüngsten Manifestationen ganz "traditioneller" Lyrik, die sich ernsthaften (hier wahrhaft todernsten) Themen widmet.
Noch jüngere, bekannte Vertreter ganz und gar klassischer und regelmäßiger Reimkunst sind doch größtenteils eher im primär humorvollen "Unterhaltungs"-Bereich unterwegs. Wenn ich über "ernsthaftere" Lyriker nachdenke, die deutlich jünger als Haushofer sind, sich aber "dennoch" überwiegend oder doch wenigstens zu einem signifikanten Teil des traditionellen Reims und einer gebundenen Sprache bedien(t)en, dann fallen mir z.B. Krolow, Rühmkorf, Kunert, Reimann und Pietraß ein... aber all diese Lyriker brechen schon sehr bewusst, die formale Einheit auf und streuen metrische und reimtechnische Irregularitäten ein oder integrieren ausgefallene Neologismen, Umgangssprache oder Dialekt, um die geschlossene Form zu öffnen.
Vergleichbar "regulär" gestaltete Werke findet man sonst natürlich noch bei Mascha Kaléko (wenn auch ihr Ton ganz anders ist, als der von Haushofer). Aber während Kaléko heute noch zu den populärsten deutschsprachigen Lyrikern überhaupt zählt, ist Haushofer vergleichsweise unbekannt. Eigentlich schade. :)
LG!
S.

Sufnus

Re: Vermächtnis eines Mächtigen
« Antwort #5 am: Januar 25, 2022, 15:05:24 »
Und nun - ich bin auf gums Bemerkung hin abgeschwiffen - natürlich auch noch zu dem eigentlichen Ausgangspunkt dieses Fadens, dem Gedicht von eKy. :)
Nun... mir gefällt dieser Text rundum gut - er hat für mich etwas durchaus Humoristisches und Schwankhaftes in der weit ausholenden Gebärde des LI, die dann in einigermaßen hilflosen Ankündigungen mündet, denen offenkundig nichts wirklich nachfolgt. Insofern kann ich zwar dank Deines Hinweises, eKy, erkennen, inwieweit hier für Dich Hitler im Bunker Pate stehen könnte, aber im Tonfall des Textes finde ich das für mich persönlich so nicht. Eher denke ich bei diesen Ausführen des LI an eine Szenerie aus einer Buffo-Opera als an ein völlig abgründiges Ereignis... das LI scheint mir so eher ein Nachfahre des Pantalone aus der Commedia dell'arte zu sein, der im Klimakterium virile von einer gewissen Torschlusspanik befallen wird. :)
In dieser Lesart habe ich den Text aber sehr genossen. Mit viel Witz geschrieben, wie ich finde! :)
LG!
S.

Erich Kykal

Re: Vermächtnis eines Mächtigen
« Antwort #6 am: Januar 25, 2022, 18:20:08 »
Hi Suf!

Eine andere Lesart - warum nicht! Ich meinte ja auch nicht Hitler hier ausschließlich oder exemplarisch, sondern wollte das Bild auf alle hybrisgesteuerten Machtidioten ausrichten, die denken, es wäre unsäglich wichtig, dass sie der Welt erzählen, wo's nach ihrem Ableben langzugehen hätte.

Um ehrlich zu sein, beim Schreiben war es mir nicht um Lustigkeit zu tun, schwarzer Humor oder Schwank lagen mir gedanklich fern. Wenn es tatsävhlich nun so rüberkommt, ist es ein Zufallsergebnis - oder ein lyrischer Lapsus meinerseits.

Danke für deine kundigen Worte an Gum und mich!  :)

LG, eKy
« Letzte Änderung: Januar 25, 2022, 18:22:35 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.