Autor Thema: Demenz  (Gelesen 1062 mal)

Erich Kykal

Demenz
« am: Februar 24, 2013, 11:07:43 »
Der Tage Lauf - ein stetes Hell und Dunkel,
kaum wahrgenommen in der vagen Welt.
Der Pfleger Schelte: Quakendes Gemunkel
und Mienenspiel, das keinen Sinn enthält.

Es fällt ihm schwer, allein den Kopf zu heben,
die Glotze läuft, er nimmt es kaum noch wahr.
Die Zeit verebbt, kennt Monat nicht und Jahr,
und dennoch muss er immer weiter leben.

Man schüttet ihm die Suppe in die Lippen,
wäscht seine gilbende und welke Haut.
Der Lappen scheuert am Gebälk der Rippen,
und Münder zeigen Ekel - nur nicht laut.

Und ausgesetzt der Kompetenz der Schwestern
verrottet er entblößt im Namenlosen -
sein liegewunder Leib kennt keine Hosen,
nicht Menschenwürde mehr noch stolzes Gestern.

Er sickert lautlos durch die eignen Poren
ins Einerlei, das sein Gesicht verwischt,
und seine blinden Blicke ziehn verloren
am Licht vorbei, das unbegehrt erlischt.



Inspiriert von Galapapa
« Letzte Änderung: Februar 24, 2013, 11:51:35 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Demenz
« Antwort #1 am: Februar 24, 2013, 11:35:27 »
Später, lieber Erich!

Muß dringend zu meiner Mutter.

Ganz lieben Gruß!
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

cyparis

Re:Demenz
« Antwort #2 am: Februar 24, 2013, 18:46:33 »
Lieber Erich,


das ist ebenso grausig wie gut bedichtet.
Dennoch darf ich zum Glück sagen, daß das Geschilderte n i c h t  die Regel ist.
Glaube es mir:
Es gibt sehr viel positive Gegenteile.Sowohl auf der einen als auch auf der anderen Seite.

Aber ich finde es gut und wichtig, daß Du das Thema in Dein gelungenes Gedicht aufgenommen hast.

(Leider bin ich zu alz, um Dich im Fall des Falles später pflegen zu können).


Lieben Gruß
von
Romulus
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re:Demenz
« Antwort #3 am: Februar 24, 2013, 19:21:22 »
Hi, Cypi!

Anlass war ein Gedicht von Galapapa: "Er ist gegangen".

Allerdings habe ich das Beschriebene mit meiner eigenen Tante, deren Tochter nach Hamburg geheiratet hatte und nur wenige Male im Jahr vor Ort war, miterlebt: Sie wurde über 90 Lahre alt, lag die letzten Jahre aber nur noch im Bett, halb bewusst, halb blind, oft geistesabwesend. Sie versickerte gradezu in den Kissen, sicherlich gut gepflegt und versorgt - aber sinnlos, inhaltslos, betäubt oder verwirrt. Sie selbst hatte mich Jahre zuvor nach ihrem ersten Zusammenbruch ersucht, ihr gewisse Mittel zu besorgen, damit sie Selbstmord begehen könnte. Ich brachte es nicht über mich, und später war sie geistig und körperlich nicht mehr in der Lage.

Ein Bild ist mir für immer eingebrannt: Ich betrete das Zimmer, der Fernseher laüft auf voller Lautstärke, aber sie bekommt vom Bild nichts mit, weil selbst mit Brille fast blind. Unfähig, die Selbstbedienung zu benutzen oder die Klingel, war sie stundenlang dieser Lärmbelästigung, diesem Radau ausgesetzt - einfach von den Pflegern "ruhiggestellt" und verlassen.
In klaren Momenten tat ihr Blick weh - zum Glück wurden diese seltener...

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Demenz
« Antwort #4 am: Februar 24, 2013, 19:34:10 »
Das tut weh!
Meine Mutter ist oft verwirrt ( sucht ihre Eltern) und gleitet in andere Zeiten, aber beim Silbenkreuzworträtsel war sie mir heute wieder haushoch überlegen.

Ist das Schwanken zwischen ihren eigenen Realitäten, was mich beunruhigt.

Lieben Gruß!
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Daisy

Re:Demenz
« Antwort #5 am: Februar 25, 2013, 14:24:22 »
Hallo Erich,

was für ein schaurig-schönes Gedicht!

Ich frage mich oft, wenn man einen derartigen Verfall eines Menschen miterlebt, was diese selbst alles mitbekommen.
Wenn man selber noch völlig gesund ist, kann man sich überhaupt nicht in eine solche Situation hineinfühlen und leidet
einerseits mit dem Betroffenen mit, andererseits erschreckt einen die Vorstellung, dass man eines Tages auch ein solches
Schicksal erleiden könnte.

Du hast natürlich, wie gewohnt, so perfekt gearbeitet, dass es unmöglich ist, irgendwo auch nur den geringsten Mangel entdecken zu können! 

LG Daisy

Erich Kykal

Re:Demenz
« Antwort #6 am: M?RZ 08, 2013, 16:09:31 »
Hi, Daisy!

Ja - man rechnet nicht damit, weil man nicht will. Der Gedanke ans hohe Alter ist jedem unangenehm, egal, ob man es überhaupt zu erleben glaubt. Der Unabhängige wird wieder abhängig...kein angenehmer Gedanke!

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.