Autor Thema: Die Friedfertigen  (Gelesen 1827 mal)

Erich Kykal

Die Friedfertigen
« am: September 08, 2023, 14:49:05 »
Wir wirken uns gar vielerlei
Gerüste für den schwachen Geist,
Gefühltes, das uns welk beweist,
dass alles schon in Ordnung sei.

Der Zug der Welt: Ein lauter Schrei!
Die Stille in uns aber reist
an Orte, die man trösten heißt,
was allzu groß und schmerzhaft sei.

Sag, bist du wieder mit dabei,
wenn über uns der Zug entgleist,
der ohne uns die Zeit bereist,
als wäre alles einerlei?
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Die Friedfertigen
« Antwort #1 am: September 11, 2023, 18:24:36 »
Lieber Erich,

du scheinst die aufs Korn zu nehmen, die sich nur um den eigenen Seelenfrieden kümmern. während die Welt auf einen Krieg zutreibt.

Sehr gern gelesen.

Lg g

 


Erich Kykal

Re: Die Friedfertigen
« Antwort #2 am: September 12, 2023, 01:49:51 »
Hi Gum!

Ja, das Wegschauen als gesellschaftliche Kür zum scheinbar eigenen Nutzen. Auch Hitler konnte nur groß werden, weil damals zu viele meinten: Was geht es mich an?

Das heutige Problem ist, dass der Bösewicht über Atomwaffen verfügt - was also bleibt übrig als ein weiteter Stellvertreterkrieg, zu dem wir Waffen liefern?

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Die Friedfertigen
« Antwort #3 am: September 13, 2023, 14:53:38 »
Hi eKy!
Das ist eine schöne und sehr originelle Metapher von Dir, dass "die Zeit", also "das Weltgeschehen" ein Zug ist (ich stelle mir eine mächtige Dampflokomotive vor), der ohne uns die Zeit bereist. Die Zeit schreitet demnach ungerührt voran und das dumme Menschlein bleibt ziemlich statisch außen vor und guckt belämmert dem davondampfenden Zug hinterher.
Das ist in gewisser Weise die Umkehr eines (ebenfalls originellen) Bildes von Gottfried Keller: "Die Zeit geht nicht, sie stehet still / wir reisen durch sie hin".
Konventionellere Metaphern würden die Zeit meinethalben als Zug oder ein ähnliches dahinbrausendes Vehikel betrachten, aber die Menschen als Passagiere hineinplatzieren, so dass das Reisegefährt mitsamt der Insassen in die Zukunft unterwegs ist. Wie Du (& Kollege Keller) zeigst (zeigen) kann man das auch etwas anders betrachten. :)
LG!
S.

Erich Kykal

Re: Die Friedfertigen
« Antwort #4 am: September 13, 2023, 16:27:45 »
Hi Suf!

Ich sehe es so: Die Zeit ist der Zug, der nie irgendwo wirklich ankommt (ist es immer derselbe, der ewig Kreise dreht, zu groß für uns, um sie zu überblicken, oder hat jede Zeit ihren eigenen Zug auf dem Gleis der Entropie?), und ob man zusteigen kann oder möchte, obliegt oft gar nicht unserem Willen. Nicht jeder findet einen Platz im Fortschritt, und wie bei mir kann es auch eine ganz bewusste Entscheidung sein, auf die Mitfahrt zu verzichten.

Danke für eine tiefschürfenden Gedanken!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Die Friedfertigen
« Antwort #5 am: September 17, 2023, 15:05:02 »
Hey eKy!

Ich lese Dein Gedicht gerne zum wiederholten Male und findes es sehr anregend! Aber meine eigenen Ausführungen muss ich nochmal korrigieren:

dass "die Zeit", also "das Weltgeschehen" ein Zug ist (ich stelle mir eine mächtige Dampflokomotive vor), der ohne uns die Zeit bereist.

.. so tautologisch, dass die Zeit die Zeit bereist, wollte ich es eigentlich nicht ausdrücken sondern so, dass "die Vorgänge um uns herum, also das Weltgeschehen [usw.] die Zeit bereisen". Wenn die Finger schneller Tippen, als das Hirn denkt... ;)

LG!

S.

Erich Kykal

Re: Die Friedfertigen
« Antwort #6 am: September 18, 2023, 20:01:08 »
Hi Suf!

Mittlerweile mehren sich ja die Stimmen unter den Forschern, die meinen, dass die Zeit als menschgemachtes Denkkonstrukt ohnehin eine Illusion sei, ein Denkfehler sozusagen, eine falsche Kausalverknüppfung in kosmischen Dimensionen. Wir verleihen der mannigfaltig beoachteten Entropie eine temporäre Komponente, die uns hilft, etwas zu begreifen, das so gar nicht existiert. ebenso wie die Überzeugung, dass eins und eins immer zwei ergibt - was mittlerweile quantenmechanisch widerlegt zu sein scheint ...

Interessante Zeiten!  O0

LG, eKy
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Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
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Sufnus

Re: Die Friedfertigen
« Antwort #7 am: September 25, 2023, 21:21:24 »
Hi eKy!
Ich persönlich tendiere in meiner völlig laienhaften Privatphilosphie dazu, grundsätzlich jede Qualität des Seienden als menschliche - wenn nicht Illusion, so doch vergröbernde Simplifizierung - anzusehen. Eine Aussage, die mit den Worten beginnt: "Die Zeit ist... " (und das Subjekt Zeit kann man hier wahlweise durch andere Subjekte wie Materie, Geist, Mensch, Schönheit oder Erdnussbutter ersetzen), erweist sich somit bereits als Mensch-kontaminiert. Und wenn auf diese Weise der Begriff des Seienden vom Podest des Seins gestoßen wird, so fällt natürlich auch alles andere so ziemlich in sich zusammen, von der Religion bis zur Quantenchromodynamik und von der Moral bis zur Evolutionstheorie. Nochmal anders gesagt: Wir leben in einem Denkgefängnis. Letztlich hat das der alte Platon schon so ähnlich gesehen, nur dass in seinem jugendlichen Leichtsinn die Möglichkeit angedacht wurde, es könne jemand aus der Menschenhöhle ausbrechen und die Wirklichkeit so sehen, wie sie wirklich ist. Ich fürchte, das "ist" ;) ein hehres Gedankenexperiment, welches jedoch leider nirgends hinführt. :)
LG!
S.

Erich Kykal

Re: Die Friedfertigen
« Antwort #8 am: September 26, 2023, 17:28:29 »
Hi Suf!

Es gibt ja diesen Spruch, dass wir nur so weit sehen können, weil wir auf den Schultern von Riesen stünden. Gedanklich gesprochen. Vielemehr scheint es so, dass diese Riesen die Gitterstäbe unseres geistigen Gefängnisses sind, aus dem wir nicht herausdenken können.

So wie dieses niedliche kleine Rätsel: Verbinde neun regelmäßig in einer quadratischen Form angeordnete Punkte mit vier geraden Linien, ohne den Stift abzusetzen. Kennst du die Lösung?

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
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