Der Deutschkurs im Asylantenheim – ja, ich weiß, politisch nicht korrekt, es müsste Asylwerberheim heißen – ich bleibe dennoch beim kürzeren Asylantenheim - jetzt ist der Satz aber so weit fortgeschritten, dass ich lieber einen neuen beginne. Also, der Deutschkurs im Asylantenheim ist lustig. Das klingt jetzt irgendwie arg einfach, geradezu einfältig, das macht aber nichts, der Kurs ist lustig, im Sinne von froh, fröhlich, witzig, unterhaltsam.
Jetzt werden mache denken, die Verursacher solcher Fröhlichkeit wären ich - die meisten nehmen das ohnehin nicht an – und meine umwerfend komischen Methoden zur Vermittlung der deutschen Sprache. Nein weit daneben, die Kursteilnehmer – und vor allem deren Kinder – sorgen für die ungewöhnlich aufgelockerte Atmosphäre.
Es beginnt damit, dass der Unterricht erst einmal nicht beginnt. Außer dem Vortragenden ist nämlich niemand anwesend. Wie auch? Der Kurs fängt – immer gleichbleibend – um zehn Uhr an. Da schlafen die Schüler aber noch – auch immer gleichbleibend. Wäre der Kurs um elf angesetzt, würden sie eben um elf noch schlafen, aber das ist reine Theorie, voreingenommene Annahme, da der Kurs ja um zehn beginnt. Bisher ist es eher wenig lustig, man kann sogar mit Fug und Recht behaupten, dass meine Stimmung mit grantig nur unzureichend beschrieben wäre.
Aber da, der erste Lichtblick. Elena taucht auf, noch unfrisiert aber guter Dinge. Sie bittet umgehend um ein Stück Kreide und zeichnet Männchen an die Tafel, wahrscheinlich die restlichen Kursteilnehmer, die da noch kommen sollen. Elena ist drei.
Mama Hannah kommt um zehn Uhr zehn, Bleistift und Heft in der Hand. Jetzt trudeln sie ein, kichernd die Mädchen aus Nigeria und dem Sudan, schwatzend die Frauen aus Somalia, ein Mongole mit Kleinkind, zwei Tschetscheninnen mit zwei Buben und zwei Mädchen, eine Armenierin mit einem Neugeborenen und dann noch die Männer, die in Deutsch – einer leichten Abart dieser Sprache – aufeinander einreden. Das ist ja das Gute an einem Asylantenheim, man braucht eine lingua franca – was bietet sich da in Österreich mehr an als ein deutsches Idiom.
Sie fragen, was daran so lustig sei? Sie haben Recht, es gibt noch nichts zu lachen. Bald aber. Der Mongole sagt zum Beispiel im Dialog zur Usbekin „Was bleiben dein Frau heute?“ und meint natürlich den Mann. Es erhebt sich ein Gelächter, obwohl die meisten diesen Satz vielleicht gar nicht in grammatikalisch ähnlicher Nähe zustande gebracht hätten.
Dann geht’s los, ich verwende ein persisches Wort als Hilfe für die Afghanen vollkommen falsch. Es wird übersetzt und der Hörsaal, der in Wirklichkeit der Speisesaal ist, erdröhnt. Das Kleinkind beginnt erbärmlich zu schreien und muss gestillt werden, Elena fällt vom Sessel und klein Jussuf braucht nasenscheinlich eine neue Windel. Ich liege auf dem Boden, weil ich den Unterschied zwischen legen und liegen erkläre, ein lärmendes Handy stört jetzt nur mehr unwesentlich. Blessing, die Friseurin aus Nigeria, stimmt mit ihrer Freundin ein Lied an und setzt auch einige Tanzschritte dazu. Dazwischen folgen zehn Minuten intensiven Lernens. Dann wird einem Somalier das Schreien der kleinen Georgierin zu viel, er schnappt es und singt ihr eine Weise, wahrscheinlich ein Wiegenlied aus dem Horn von Afrika vor. Ich krieche jetzt sehr anschaulich durch die Tischreihen, weil mir das Wort „kriechen“ weder auf Arabisch noch auf Urdu einfällt, „creep“ nicht verstanden wird, was bleibt also über. Svetlana lernt Somali, weil sie sich mit Aische aus Mogadischu befreundet hat. Jetzt bringt sie reizvolle Neuschöpfungen in ihr blutjunges Deutsch ein. Shpresa kann beinahe akzentfrei „ich verstehe nicht“ sagen und tut es oft auch ohne erkenntlichen Anlass. Elena fällt das dritte Mal vom Stuhl. Mama Hannah bietet mir eine Pistazie an. Der Genitiv ist den meisten vollkommen egal, so einigen wir uns auf „das Haus von meinem Vater“. Hin und wieder kommt mir „der Dativ ist dem Genitiv sein Tod in den Sinn“, entscheide mich aber dann doch, diesen Satz nicht ins Heft schreiben zu lassen. Sie können das Buch ja später einmal lesen. Elena fällt schon wieder vom Stuhl und braucht ein neues Stück Kreide, da sie das erste zerbröselt hat. Ich wische mir mit schmerzverzerrtem Gesicht eine Träne aus den Augen, weil ich den Begriff “traurig“ verdeutlichen will. Alle lachen, ich weiß nicht warum, sie sollten ja „traurig“ verinnerlichen. Ich schaue auf die Uhr, Zeit zur Wiederholung, nein, nein, nur die für den Spracherwerb relevanten Dinge, alles andere kommt ohnehin in der nächsten Einheit wieder zum Tragen.
Und jetzt sage noch einer, das wäre alles nicht lustig. Ich muss hinzufügen, dass die Leute sehr wohl eine ganze Menge lernen, nur etwas ungewöhnlich halt. Die Kursteilnehmer verabschieden mich dann meist im Chor: Next Mittwoch, sehn Uhr, pingdlich.