Autor Thema: Lebensschuld  (Gelesen 1420 mal)

Erich Kykal

Lebensschuld
« am: Juni 06, 2011, 10:13:22 »
Mein Vater, er war SS-Offizier
und sprach niemals vom Kriege.
Dunkler Schatten ertränkte schier
sein Lächeln an meiner Wiege.

Mein Vater, er war SS-Offizier
und glaubte von je an die Sache.
Er lehrte mich laufen und lief mit mir
laut lachend durch manche Lache.

Mein Vater, er war SS-Offizier
und schimpfte Politiker Schweine.
Er mahnte: Geh deinen Weg, verlier
jeden Glauben ans Gute und Reine.

Mein Vater, er war SS-Offizier.
Ich sollte es besser machen.
Doch auch in mir fand sich ein Tier,
das sich ernährt von Schwachen.

Mein Vater, er war SS-Offizier,
doch das erfuhr ich erst später.
Früh sind wohl alle Täter wir
und spät erst die liebenden Väter.

Mein Vater, er war SS-Offizier.
Obwohl er mich nie umarmte,
liebte ich ihn allein schon dafür,
dass er sich meiner erbarmte.

Mein Vater, er war SS-Offizier.
Wie er bin ich schuldig geworden.
Ein anderes Leben, und doch tragen wir
dieselben traurigen Orden...
« Letzte Änderung: Juni 24, 2011, 08:35:11 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Lebensschuld
« Antwort #1 am: Juni 24, 2011, 22:13:19 »
Grausig!


Erinnert mich an ein Buch, das ich vor etlichen Jahren las:

"Der Sohn eines Vaters"  (oder so ähnlich), als der Sohn erst sehr spät  erkannte, w a s  und   w i e  der Vater war - außerhalb des Vaterseins.


Grausig gut.
Woher der Impuls?


cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re:Lebensschuld
« Antwort #2 am: Juni 25, 2011, 21:27:40 »
Astrein autobiographisch!

Mein Vater war - als Akademiker! - überzeugter Nazi,  SS-Mitglied und dank seiner Englisch- und Französischkenntnisse hauptsächlich als Übersetzer tätig - wohl auch bei "speziellen" Verhören...
Er hat nie darüber gesprochen, hatte aber bis an sein Lebensende gräßliche Albträume, bei denen er dermaßen im Schlaf schrie und um sich schlug, dass meine Mutter schließlich auf getrennten Betten bestand.
Er erzog mich streng apolitisch und riet mir immer, nie schönen Worten und "großen" Ideen zu vertrauen so wie er. Nach dem Krieg war er ein Jahr inhaftiert gewesen und erhielt als Professor lebenslanges Berufsverbot. Als in den Sechzigern eklatanter Lehrermangel herrschte, wurde er doch wieder eingestellt, allerdings ohne Anrechnung seiner Vorkriegsdienstzeiten. Das hat er den "Roten und Schwarzen" nie verziehen und war bis zuletzt braver FPÖ-Wähler (die österr. Version der FDP oder AfD - siehe Haider...)
Ich habe ihn nie gefragt, was er wirklich getan und gesehen hat, und er hätte es wahrscheinlich auch nicht erzählt. Ich wollte es ehrlich gesagt auch nie wissen. Nenn mich feige, aber ich wollte ihn einfach nur weiter gern haben können.
Er hat mich sehr geliebt, obwohl er sehr kontaktverklemmt war. Zumindest das hat er mir weitergegeben - auch ich tu mich schwer mit körperlicher Berührung und Nähe. Er berührte mich praktisch nie, blieb meist "korrekter Professor", dessen Kind natürlich alle anderen ausstechen sollte. Meine Ferien habe ich meist damit verbracht, ganze Hefte mit Übungen auszuschreiben. Er meinte es gut, aber vergällte mir letztlich jede Freude am Lernen, weil er es maßlos übertrieb bei einem 6-12Jährigen!
Tja, so sind Kindheitserinnerungen. Nicht die Tränen bleiben und der Druck - rückblickend war er alles in allem ein guter Vater, denn der hat vieles zwar nicht gut gemacht, aber immer gut gemeint, und nur das soll für mich zählen.

LG, eKy
« Letzte Änderung: August 04, 2022, 20:18:56 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Lebensschuld
« Antwort #3 am: Juni 26, 2011, 20:16:16 »
All das tut auch mir weh!

Wie leicht wäre es, zu (ver)urteilen, wenn man aus einem streng antinationalsozialistischen Eltern- und Großelternhaus kommt!

Aber ich kann auch nachvollziehen, daß man einigermaßen distanziert und mitleidslos bleibt, wenn man von den Alpträumen der "Täter" liest, die ihr Gewissen - wenn auch nur unterschwellig - umtreibt.

So oder so -  schrecklich!


cyparis

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