die Lyrik-Wiese

Blumenwiesen => Drum Ehrlichkeit und Edelweiß => Thema gestartet von: Erich Kykal am M?RZ 19, 2024, 22:40:45

Titel: Spiegelbild
Beitrag von: Erich Kykal am M?RZ 19, 2024, 22:40:45
Von Angesicht zu Angesicht
kennt mich der Spiegel gut.
Dahinter aber weiß er nicht
von meinem heißen Blut,
kennt nicht mein wundes Herzgedicht,
noch meine kalte Wut;
die Seele, die mir Krücken flicht
aus unverzehrter Glut,
bespiegelt er dem Auge nicht,
egal, wie weh sie tut.

Ich schaue tief in ihn hinein,
ergrabe meinen Blick,
befinde leer ihn, ohne Sein,
und schicke ihn zurück.
Dahinter gärt wie schlechter Wein
die Mär vom wahren Glück.
Sie bricht mir alle Träume klein
und sitzt mir im Genick,
ein unerlöstes Hinterdrein
nach einem Mitleidsf*ck.

Wann werde ich es lernen wohl,
dass mich kein Bild erlöst,
das mir der Spiegel kalt und hohl
in alte Wunden flößt?
Titel: Re: Spiegelbild
Beitrag von: gummibaum am M?RZ 29, 2024, 10:28:36
Lieber Erich,

ein sehr interessanter Text, der zeigt, wie die Oberflächlichkeit des Spiegelbildes den nach tieferer Einsicht Verlangenden zu Verzweiflung treibt.

Chapeau von gummibaum 
Titel: Re: Spiegelbild
Beitrag von: Erich Kykal am M?RZ 29, 2024, 14:50:55
Hi Gum!

Der Spiegel zeigt, was wir einander zeigen. Jenseits betrügerischen Mienenspiels und Mikromimik bleiben unsere Augen leblos, einzig sexuelle Erregung oder Sympathie lassen die Pupillen sich erweitern - aber das tun Drogen auch ...

Wir sind keine Gedankenleser, und des so selbstverständlichen Mienenspiels benommen können wir unsere Blicke allein nicht lesen. Wir sterben so wie wir geboren wurden, nur dass wir bei der Geburt noch keinen Begriff von Einsamkeit haben ...

LG, eKy